„Umstürze werden heute mit der taktischen Waffe der Legalität vorgenommen!“ Dieser Satz, mit dem Wolfgang Hariolf Spindler OP, Chefredakteur der zweimonatlich im 79. Jahrgang erscheinenden Zeitschrift für Religion, Kultur und Gesellschaft „Die Neue Ordnung“ in seinem Editorial „Großer Sprung nach vorn“ einen Beitrag von Carl Schmitt empfiehlt, den er nach dem letzten Weltkrieg für diese Zeitschrift geschrieben hat, sagt im Grunde alles über die „verwerfliche Trickserei“ und Wählertäuschung der Unionsparteien, deren „Machtlust keine Grenzen kennt“. Der „Große Friedrich“ habe im Bundestag, dort, wo 2011 Papst Benedikt XVI. über die naturrechtlichen Grundlagen des Staates sprach, am 13. März den „Großen Sprung“ nach vorn“ ausgerufen, schien jedoch dabei gar nicht zu wissen, daß er damit einen der größten Massenmörder der Weltgeschichte zitierte. Eine „gespenstische Abwesenheit von Geschichte, Kultur, Religion und Gefühl“ sei ohnehin das Auffälligste an den Auftritten des neuen Bundeskanzlers. Tatsächlich scheiterte die Kampagne von Mao Tse- Tung binnen dreier Jahre, je nach Schätzung fielen ihr zwischen 20 und 40 Millionen Menschen zum Opfer. Ganz so pessimistisch ist Spindler diesmal immerhin nicht.
Die Zeitschrift präsentiert mit Carl Schmitts Aufsatz über „Das Problem der Legalität“ einen geradezu „wie die Faust aufs Auge“ passenden legendären Essay, der sich kritisch mit dem Begriff der Souveränität des Gesetzes auseinandersetzt. Dabei beruft sich der Staatsrechtler auf den Oratorianer-Pater Laberthonnière, der sich gegen weitverbreitete moraltheologische, philosophische und juristische Vorstellungen von der Erhabenheit des Gesetzes wendet, die auf einen berühmten Ausspruch von Aristoteles zurückgehen und darin gipfeln, daß „nicht Menschen, sondern Gesetze“ herrschen sollen. Dem stellte jedoch der gelehrte Oratorianer die harte Behauptung entgegen, daß hinter jedem irdischen Gesetz unmittelbar Menschen stehen, die sich des Gesetzes als eines Mittels ihrer Macht bedienen.
Schmitt stellt daher die berechtigte Frage, warum das deutsche Beamtentum Hitler gefolgt sei. Abgesehen von den Standes- und Klasseninteressen befürchteten die höheren und höchsten Beamten und die daraus hervorgegangene Ministerialbürokratie von Hitler keine Gefährdung ihrer sozialen und ökonomischen Gesamtexistenz, da die hohe Ministerialbürokratie durch die Verordnungspraxis des Artikels 48 selbst zum Gesetzgeber geworden war. Die Verordnung hatte somit das Gesetz verdrängt und eine Machtsteigerung für die Büros erreicht, in denen die Verordnungen entstanden. Zudem sah man in Hitlers feierlichen Legalitätsbeteuerungen – bis hin zum Legalitätseid im Scheringer-Prozeß 1930 -, einen wirksamen Schutz vor dem drohenden Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und National-Sozialisten. In dem Begriff „Legalität“ findet man daher auch die eigentliche Antwort auf die Frage, warum das deutsche Beamtentum Hitler gefolgt ist.
Somit war die Machtergreifung Hitlers in den Augen des deutschen Beamtentums nicht illegal. Gleiches gilt auch für die große Mehrheit des deutschen Volkes und ebensowenig für die ausländischen Regierungen, die ihre diplomatischen Beziehungen fortsetzten, ohne eine neue völkerrechtliche Anerkennung für erforderlich zu halten, wie es im Fall der Illegalität notwendig gewesen wäre. Da eine deutsche Gegenregierung weder im Reich noch als Emigrantenregierung zustande kam, und das Ermächtigungsgesetz in Form einer großen General- und Pauschal-Legalisierung auch die letzten noch vorhandenen Bedenken beseitigte, war der legale Weg einer Rückgängigmachung der Machtergreifung verbaut. Insbesondere, weil jeder wußte, daß der Versuch einer Beseitigung Hitlers einen noch weit gefährlicheren Bürgerkrieg bedeuten würde. So ist die Feststellung des Nürnberger Internationalen Militärtribunals vom 1. Oktober 1947 „1934 war die ganze Macht in Hitlers Händen“ von größter Tragweite. Hitlers Macht war damit für jede positivistische Legalitätsvorstellung weit mehr als nur legal, sie war auch die Quelle aller positiv-rechtlichen Legalität.
In dieser schon fast babylonischen Sprachverwirrung gilt zwar das Wort des Soziologen Max Webers: „Die Bürokratie ist unser Schicksal“, doch ist die Legalität der Funktionsmodus dieser Bürokratie. Während im angelsächsischen Sprachgebrauch „legal“ soviel wie „rechtlich“ oder „juristisch“ bedeutet, hat der staatliche Behördenapparat in Frankreich seit Ende der 1970er Jahre ein halbes Dutzend Regime-Wechsel überdauert. Tatsächlich war dort die Antithese von Legalität und Legitimation schon vor der Revolution von 1848 bekannt: „Die Legalität tötet, la legalité tue!“ Unmittelbar nach 1848 hat Präsident Louis Napoleon Proklamationen erlassen, „die Legalität zu verlassen, um wieder zu einem Recht zu gelangen!“ Seitdem ist Frankreich das Land das Land der Legalisten, in Deutschland hingegen wurde die Legalität, wie Max Weber sagte, zur einzigen Erscheinungsform der Legitimität.
Man hat den Deutschen auch vorgehalten, daß sie keines rechten Widerstandes gegen die Obrigkeit fähig wären, und stattdessen eine besondere Fähigkeit in der Kunst entwickelten, Unterwerfung unter die jeweilige Obrigkeit mit einem innerlichen Freiheitsgefühl zu verbinden. Hinzu komme eine weitverbreitete Staatsbeamtengesinnung. Doch ist dies längst kein spezifisch deutsches Problem mehr, überall herrscht der juristische Positivismus, dies bedeutet, daß das Recht von dem gesetzt wird, der es faktisch durchsetzt und damit die Verwandlung des Rechts in Legalität eine Konsequenz des allseits herrschenden Positivismus ist. Daß die Verwandlung des Rechts in die Legalität die Vorhut der Verwandlung der Legalität in eine Waffe des Bürgerkriegs ist, ist ebenfalls keine deutsche Erfindung, sondern Lenin verkündete sie mit aller Schärfe in seiner Schrift aus dem Jahr 1920 „Der Linksradikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus“. Revolutionäre, die es nicht vermochten, illegale Kampfformen mit „allen“ (Lenin) legalen zu verbinden, seien schlechte Revolutionäre. Damit wird die Legalität allerdings zu einem taktischen Werkzeug einer revolutionären Partei, für die es nur eine einzige Art von historischer Legitimität gibt, nämlich die kommunistische Revolution.
Nach P. Laberthonniéré bedeutet die Maxime „Gesetz ist Gesetz“ daher nichts anderes als „Krieg ist Krieg“ oder sogar „Bürgerkrieg ist Bürgerkrieg“. Mit großer Trauer erinnert uns der Pater an die lange Reihe von Revolutionstribunalen, Ausnahmegerichten, Sondergerichten, Volksgerichtshöfen, Spruchkammern und Instanzen – letztere bezeichnen wir heute als staatstreue und staatsalimentierte NGOs -, und in deren Händen Gesetze zu Werkzeugen der Verfolgung und der primitiven Rache wurden und inzwischen augenscheinlich auch wieder werden. Pater Laberthonnière: „Ich vergleiche nicht die Opfer, ich vergleiche die Richter!
Weitere Beiträge: „Personalismus. Würdigung und Kritik“ (Arthur F. Lutz), „Vom Geradeausblicken. Philanthropische Beobachtungen mit satirischen Einschlägen“ (Reinhard Liess), „Die Kirche und das liebe Geld“ (Peter Winnemöller), „Das Schweigen der Guten – eine Reflexion in Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer), „Ein Parlament ist keine Kirche – Chronologie und Hintergründe des Besuches von Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag“ (Michael F. Feldkamp).
Verlag Franz Schmitt, PF 1831, 53708 Siegburg. Einzelheft 7 Euro, Jahresabo 35 Euro. www.die-neue-ordnung.de