Was die Briten können, können wir schon lange! Gastrecht für Extremisten

Anfang Juli 2002 meldete das amerikanische Time-Magazin mit Bezug auf hochrangige europäische Geheimdienstkreise, daß der mutmassliche spirituelle Kopf des Al Kaida Netzwerks mit seiner Frau und seinen Kindern im Norden Englands lebt. In einem abgesicherten Haus, das ihm – zusammen mit einer ansehnlichen Bezahlung – der britische Geheimdienst zur Verfügung stellte. Abu Qatada, der als rechte Hand Osama Bin Ladens in Europa galt, hatte 1994 in Großbritannien politisches Asyl erhalten, nachdem er zuvor in Jordanien und Algerien wegen der Unterstützung schwerer Bombenserien in Abwesenheit zu langjähriger Haft bzw. zum Tod verurteilt worden war. Der auch unter seinem Aliasnamen Sheikh Omar Abu Omar und Omar Mohammed Othman bekannte Al Kaida Führer lebte bis wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September in London, von wo er die in Algerien und Frankreich operierenden Terroristen der “Algerian Armed Islamic Group”/GIA leitete. Ermittlungsbehörden in den USA, Spanien, Frankreich und Algerien sahen ihn als Schlüsselfigur des WorldTrade Center-Anschlags. In der Hamburger Wohnung des mutmasslichen 9/11-Drahtziehers Mohammed Atta waren Videos mit Redeaufzeichnungen des Klerikers gefunden worden. Bitten der Spanier, Franzosen, Italiener und Deutschen, Abu Qatada über seine Al Kaida-Verbindung zu befragen, wurden von den Briten abschlägig beschieden. (Daniel McGrory/Richard Ford, Al Qaeda cleric exposed as an MI5 double agent, OnlineAusgabe der Times, 25. März 2004)

Richter des Obersten Spanischen Gerichtshofs Balthasar Garzon, der mit der Leitung der nationalen Al Kaida-Verfolgung betraut war, nannte Abu Qatada im Zusammenhang mit dem Time-Artikel den wichtigsten britischen Kontaktmann für Al Kaidas spanischen Terroristen Abu Dahdah. Dahdah, der eigentlich Imad Eddin Barakat Yarbas heisst und Qatada vor der Tat in London besuchte (McGrory/Ford, Al Qaeda cleric exposed…, s.o.), befindet sich unter einer Gruppe von acht Verdächtigen, die der Vorbereitung und Durchführung von 9/11 beschuldigt wird. Garzon fügte an, daß Qatada Verbindungen zu mutmasslichen Terroristen in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien und Spanien unterhalte. Ohne dafür belangt zu werden, so der Richter, habe Qatada im “Today”-Programm des britischen Staatssenders BBC Radio 4 für Jihad und Terror geworben.

Die Briten tobten, auch weil sie wussten, daß Garzons Schuss vor ihren Bug nicht im luftleeren Raum stand, sondern zuvor von der spanischen Regierung abgesegnet worden war. Eineinhalb Jahre später, am 11. März 2004, flogen den Spaniern in Madrid die Pendlerzüge um die Ohren. Das in vielen Punkten den Vorgängen von “7/7” 2004 in London ähnelnde Verbrechen bildete den Startschuss für eine Serie islamistischer Anschläge in Europa. Als Fußnote erwähnenswert: Kurz vor den spanischen Nationalratswahlen verbaute der Coup der amtierenden Regierug die Wiederwahl, weil ausländische Geheimdienstler Meldungen über Verbindungen des spanischen Sicherheitsdienstes in die verdächtige Täterszene an die Presse gaben.
Allerdings waren die V-Mann-Verbindungen der Spanier nicht im mindesten mit der operativen Terror-Connection der Briten zu vergleichen.

Die Ermittlungsbehörden glaubten damals eine Tatbeteiligung des Marrokaners Mohammed al-Gerbouzi nachweisen zu können. Er ist ein guter Bekannter Abu Qatadas. Darüber hinaus hatten französische und deutsche Sicherheitsorgane Verbindungen al-Gerbouzis zu Abu Musabal-Sarkawi reherchiert, dem gebürtigen Jordanier, der nach Meinung der Amerikaner und Briten die islamischen Aufständischen im Irak anführt. Was den Abzug der anglo-amerikanischen Wüstenkrieger aus der Krisenregion gehörig hinausgeschoben hat. Wegen der Steuerung der Terror-Selbstmordanschläge von Casablanca im Jahr 2003, bei dem mehrere Selbstmordattentäter 32 Menschen in den Tod rissen, war al-Gerbouzi in seiner Heimat zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. In Abwesenheit, da der Gründer und ChefRekrutierer der militanten “Islamic Combatant Group” seit Ende der 80er Jahre politisches Asyl in -richtig- Großbritannien geniesst. Natürlich hat Marokko von der britischen Regierung die Auslieferung al-Gerbouzis gefordert. Und wie üblich blieb das fromme Ansinnen ohne Ergebnis.

Ganz oben auf der Ergreifungsliste der Spanier standen die “Brigaden Abu Hafs Al Masri”, da diese sich zu dem Anschlag von Madrid bekannten. Abu Hafs, ein Ägyptischer Bürger, der ursprünglich Polizist gewesen war, legte sich mit Beginn seiner Terrorkarriere den Kampfnamen al-Masri (“Der Ägypter”) zu. 1981 federführend bei der Ermordung des ägyptischen Staatschefs Sadat, hatte er die Reihen der ursprünglichen Al Kaida im Afghanistankrieg mit freiwilligen Mudschaheddin gefüllt und zusammen mit Osama bin Laden die Verantwortung für zwei Bombenanschläge auf US-Militärbasen in Saudi-Arabien in den Jahren 1995 und 1996 übernommen, bei denen 20 Amerikaner ums Leben kamen. Al-Masri soll auch in die Anschläge gegen die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania eingebunden gewesen sein. Der Strategie- und Trainingschef der Al Kaida verheiratete eine seiner Töchter mit einem Sohn Bin Ladens. 1997 sorgte er für ein Massenblutbad unter Touristen in Luxor. Im Dezember 1998 beschwerte sich die Regierung des Jemen in Downing Street, nachdem der Terrorist seine Fäden bei einer Aufsehen erregenden Touristenentführung gezogen hatte – wie üblich von britischem Boden aus. (Im November 2003, zwei Jahre nach dem offiziellen Tod ihres Namensgebers, sollten die Al Masri Brigaden die Verantwortung für die desaströsen Syngogenanschläge von Istanbul übernehmen – zu einer Zeit, da sich die Türkei beharrlich weigerte, der Anti-Saddam-Koalition beizutreten.)

Ob al-Gerbouzi, Abu Hafs oder Qatada – bei den Anschlägen von Madrid war die Britannia-Connection maßgeblich. Die Engländer gaben das auch selbst ganz offen zu. Sir John Stevens, Großbritanniens ranghöchster Polizeichef, erklärte eine Woche nach dem spanischen Bombardement, daß es eine “klare Verbindung” zwischen den Madrider Terroristen und Al Kaida Unterstützern gebe, die in Großbritannien stationiert seien. Und daraus folgt? Natürlich gar nichts! MI5 und Scotland Yard hätten bis dato “Herrn Qatada” nicht zum Thema Spanien “interviewt”, verlautbarte es Mitte März 2004 aus England. Die verantwortlichen Sicherheitsbeamten würden 12 wegen Terrorverdachts festgehaltene Aktivisten “befragen”, wenn sie das für hilfreich befänden. Ende. (Jason Bennetto, Scotland Yard chief reveals London link to Madrid bombings, The Independent, 19. März 2004)

Bis heute hat sich an diesen Zuständen wenig geändert: Im Fall des Londoner Bombardements berichtete die “Times”, der aus dem nordsyrischen Aleppo stammende Mustafa Setmariam Nasar erscheine den Behörden als eine Schlüsselfigur auf der Suche nach den Attentätern. Spanische Sicherheitskräfte hatten das der Zeitung gesteckt, vielleicht, um den lendenlahmen Kollegen an der Themse ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Der 47-jährige sei einer von mehreren Verdächtigen, nach denen der britische Inlandsgeheimdienst MI5 fahnde, ergänzte der “Sunday Telegraph”. Wohl eher zähneknischend und halbherzig. Denn es war ebendieser MI5 gewesen, der es Nasar 1995 ermöglicht hatte, nach Großbritannien zu kommen und hier über Jahre hinweg seelenruhig Untergrundzellen des Al Kaida Netzwerks aufzubauen. Übrigens geriet auch Mohammed al-Gerbouzi in Verdacht, seine Finger in den Londoner Vorkommnissen gehabt zu haben. Schon zwei Tage nach den Bluttaten berichteten britische Zeitungen, daß die Polizei nach ihm fahnde. Die Zeitung “The Independent” schlagzeilte, London habe die Nachrichtendienste mehrerer europäischer Länder um Informationen über den Verbleib von al-Gerbouzi gebeten. Wie sich herausstellte eine Schmierenkomödie, denn der Mann war alles andere als untergetaucht. Der ebenfalls in London lebende ägyptische Islamist Hani al-Sebai sagte der Zeitung “al Hayat”, al-Gerbouzi sei wie gewöhnlich zum Freitagsgebet in der Moschee erschienen. Wortwörtlich verriet der von Scotland Yard “Gehetzte” dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira: “Die britische Polizei sucht nicht nach mir, sie weiss wo ich bin.” ( Britische Polizei fahndet nach verdächtigem Syrer, SpiegelOnline, 10. Juli 2005)

Ähnlich liegen die Dinge bei seinem Kollegen Abu Qatada. Auch dem blieb nach dem Themseterror eine Verhaftung erspart. Anstelle dessen wurde er unter “verschäfte Beobachtung” gestellt. Angeblich setzte es “Hausarrest”. Ob man der Al Kaida Ikone dabei auch gleich das Taschengeld kürzte, wurde nicht bekannt gegeben.
“Üble Zustände?” Sicher! “Sowas kann aber auch nur bei den verrückten Briten passieren!” Falsch! Man erinnere sich an den Fall der Amokfahrt am Berliner Weihnachtsmarkt, wo die Polizei den Pass Anis Amris aus der Fahrerkabine zogen, ein Extremist, den der Verfassungsschutz seit langer Zeit “begleitete”.
Oder man nehme den Fall der islamistischen Sauerland-Gruppe, die laut offizieller Aktenlage für Einsätze in Deutschland ein an die Tonnagegrenze reichendes Bombenlaboratorium aufbaute. Der ägyptische Arzt Yehia Yousif, der eine Schlüsselrolle in der Radikalisierung der Mitglieder dieser Gruppe spielte, hatte seit den 1990er Jahren als Scheich Abu Omar im Islamischen Informationszentrum Ulm gepredigt und auch im Multikulturhaus in Neu-Ulm verkehrt. (Islamisten aus der schwäbischen Provinz. NZZ, 21. Juni 2006, ) Er stand von 1995 bis 2002 im Dienst des baden-württembergischen Verfassungsschutzes (E. Güvercin: Dubiose Machenschaften des Verfassungsschutzes sind nichts Neues, Telepolis, 17. November 2011) und galt als „der Hirnwäscher für etliche Angehörige der Sauerland-Gruppe und für deren Dunstkreis von vierzig, fünfzig jungen Leuten“. (Peter Carstens: „Terrorbekämpfung – Wie’n zweiter 11. September“, FAZ, 11. Oktober 2008)

Mevlüt Kar, Verbindungsmann der Sauerland-Gruppe zu al-Qaida und mutmaßlicher Beschaffer von Sprengzündern, soll ein Kontaktmann des türkischen Geheimdienstes MIT gewesen sein, der auch Verbindungen zum US-Geheimdienst CIA habe. (Martin Knobbe: Urteil gegen Sauerlandgruppe: Welche Rolle spielten die Geheimdienste?, stern.de, 4. März 2010 sowie Der fünfte Mann, Spiegel, 20. April 2009)
Der betont Konjunktive SauerlandText stammt aus dem Geheimdienstfreundlichen Nachschlagewerk Wikipedia, das auch folgenden wichtigen Satz nicht zu erwähnen vergisst: Der Anführer der Sauerland-Gruppe sagte, an den Anschlagsplanungen seien Geheimdienste „nicht beteiligt gewesen und hätten die Gruppe keinesfalls gesteuert“.

Eine Verbindung in die aktuellste Nachrichtenlage gefällig? Medien enthüllten, daß sich Osama bin Ladens Ex-Leibwächter in Deutschland aufhalte. Der extremistische Schutzbefohle, dessen Namen auf Wunsch von oben anonymisiert und dessen Gesicht in Presseartikeln meist unkenntlich gemacht wird, bezog eine annehmliche Sozialversorgung. Seine Ausweisung nach Nordafrika ist, ob mans glaubt oder nicht, heftig umstritten, die weisungsgebundene Justiz versucht ihn gerade wieder zurückzuholen. Das “Warum” mag nach Studium dieses Artikels nicht mehr so sehr verwundern.

Sami hat allerbeste Extremismusexpertise, der Mann dürfte also noch gebraucht werden. Es wäre verwunderlich gewesen, wenn der BND und das BfV ihr gutvernetztes Goldstück einfach nach Sonstwohin entlassen hätten, zumal wenn es dort nullkommanichts zu erben gibt, so wie in Tunesien. Eine Ausreise nach Syrien würde da schon mehr Sinn ergeben, aber erstens ist der NATO-Krieg gegen Assad bereits de facto verloren und zweitens haben “wir” dort bereits einen Mann fürs Grobe, dessen Vita ebenfalls durchaus dienstfähig erscheint: den Berliner Gewaltrapper Deso Dogg. (Die humorigen britischen Kollegen verpassten ihrem eigenen Vor-Ort-V-Mann den Namen John CantLie)
Was mich und sicher auch den BND viel mehr interessiert: Welche befreundete oder gegnerische Schlapphutfraktion hat Samis Aufenthalt in Deutschland hochgehen lassen?

 



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