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Der Untertan im Wandel der Zeiten

Die exklusive Wahrheit:

Dr. Merkel 2007: „In der Mitte sind wir und nur wir. Wir sind die Mitte. Wo wir sind, ist die Mitte“

Kaiser Wilhelm II. 1901: „Uns, dem deutschen Volke, sind die großen Ideale zu dauernden Gütern geworden, während sie anderen Völkern mehr oder weniger verloren gegangen sind. Es bleibt nur das deutsche Volk übrig, das an erster Stelle berufen ist, diese großen Ideen zu hüten, zu pflegen, fortzusetzen.“

Demos und Gegendemos:

Der heutige Normaldemonstrant ist aus irgendwelchen Gründen gegen Dr. Merkel. Und dann gibt es den regierungstreuen Gegendemonstranten. Dessen Prototyp habe ich grade in dem Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann gefunden. Es ist die skurrile, als Untertan vielgeschmähte  Figur des Romans – Diederich Heßling.

Demonstration 1892 Berlin: „In eine der nördlichen Straßen zurückgetrieben, quollen sie aus der nächsten, bevor man ihnen den Weg abschneiden konnte, verstärkt wieder hervor. Unter den Linden vereinigten sich ihre Züge, rannen, sooft sie getrennt wurden, wieder zusammen, erreichten das Schloß, wichen zurück und erreichten es noch einmal, stumm und unaufhaltsam wie übergetretenes Wasser. Der Wagenverkehr stockte, die Fußgänger stauten sich, mit hineingezogen in die langsame Überschwemmung, worin der Platz ertrank, in dies trübe und mißfarbene Meer der Armen, das zäh dahinrollte, dumpfe Laute heraufwälzte und wie Maste untergegangener Schiffe die Stangen mit den Bannern hinaufreckte: „Brot! Arbeit!“ Ein deutlicheres Grollen, ausbrechend aus der Tiefe, jetzt drüben, jetzt hier: „Brot! Arbeit!“ Anschwellend über die Menge hinrollend, wie aus einer Gewitterwolke: „Brot! Arbeit!“ Eine Attacke der Berittenen, ein Aufschäumen, Zurückfließen, und Weiberstimmen im Lärm, schrill, gleich Signalen: „Brot! Arbeit!“

Demonstration 2017 München „Merkel muß weg“:

Der Gegendemonstrant Berlin 1892:

„Die Polizei drängelt!“ Und die Mitte der Straße sieht man frei liegen, gesäubert, wie für einen Triumphzug. Da sagt jemand: „Das ist doch Wilhelm!“

(…) „Angst kennt er nicht, das muß man sagen. Kinder, dies ist ein historischer Moment!“ Diederich hörte es und erschauderte. Der alte Herr, der gesprochen hatte, wandte sich auch an ihn. Er hatte weiße Bartkoteletts und das Eiserne Kreuz. „Junger Mann,“ sagte er, „was unser herrlicher junger Kaiser da macht, das werden die Kinder mal aus den Schulbüchern lernen. Passen Sie auf!“

(…) Ein junger Mensch mit einem Künstlerhut ging neben Diederich, er sagte: „Kennen wir. Napoleon in Moskau, wie er sich solo unter die Bevölkerung mischt.“ „Das ist doch großartig!“ behauptete Diederich, und die Stimme versagte ihm. Der andere zuckte die Achseln. „Theater, und nicht mal gut.“ Diederich sah ihn an, er versuchte zu blitzen wie der Kaiser. „Sie sind wohl auch so einer.“

Er hätte nicht sagen können was für einer. Er fühlte nur, daß er hier, zum erstenmal im Leben, die gute Sache zu vertreten habe gegen feindliche Bemängelungen. Trotz seiner Aufregung sah er sich noch die Schultern des Menschen an: sie waren nicht breit. Auch äußerte die Umgebung sich mißbilligend. Da ging Diederich vor. Mit seinem Bauch drängte er den Feind gegen die Mauer und schlug auf den Künstlerhut ein. Andere knufften mit. Der Hut lag schon am Boden und bald auch der Mensch. Im Weitergehen bemerkte Diederich zu seinen Mitkämpfern: „Der hat sicher nicht gedient! Schmisse hat er auch keine!“ Der alte Herr mit Bartkoteletts und Eisernem Kreuz war auch wieder da, er drückte Diederich die Hand. „Brav, junger Mann, brav!“ „Soll man da nicht wütend werden?“ erklärte Diederich, noch keuchend. „Wenn der Mensch uns den historischen Moment verekeln will?“

Gegendemonstranten Wien 2019

Journalismus Berlin 1892:

„Gestatten Sie mal, sehr geehrter Herr“, rief jemand und schwenkte sein Notizbuch. „Wir müssen das bringen. Stimmungsbild, verstehnse? Sie haben wohl einen Genossen verwalkt?“ „Kleinigkeit“ – Diederich keuchte noch immer. „Meinetwegen könnt’ es jetzt gleich losgehen gegen den inneren Feind. Unseren Kaiser haben wir mit.“ „Fein“, sagte der Reporter und schrieb. „In der wildbewegten Menge hört man Leute aller Stände der treuesten Anhänglichkeit und dem unerschütterlichen Vertrauen zu der Allerhöchsten Person Ausdruck geben.“

Wer denkt, daß die Medien 1892 anders getickt hätten, als heute, der irrt natürlich gewaltig. Heinrich Mann kannte die Mainstreampresse aus nächster Nähe, nämlich von Innen. Er schrieb in den 90er Jahren für die antisemitisch-kaisertreue Zeitung „Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt“.

Journalismus 2019, alle Medien mit derselben Meldung:

Die Polizei hat bei der Demonstration des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses anlässlich des Besuchs der Bundeskanzlerin in Dresden gegen drei Teilnehmer Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein 20-Jähriger habe einen Medienvertreter am Montag mit einer Plastikflasche beworfen, teilte die Dresdener Polizei mit. Gegen den Mann werde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ein weiterer Demonstrant habe den Hitlergruß gezeigt. Gegen den 31-Jährigen wurde demnach ein Ermittlungsverfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet. Im Anschluss der Demonstration habe ein 48-Jähriger im Gespräch mit Gegendemonstranten laut Polizei offenbar den Holocaust geleugnet. Der Mann wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, gegen ihn werde wegen Volksverhetzung ermittelt.

Begeisterung

Begeisterung Berin 1892: „Hurra!“ schrie Diederich, denn alle schrien es; und inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen.“

Begeistung Essen 2016:

Die Menschen kommen und gehen, der Untertan bleibt. Heßling ist unter uns!


Quelle und Erstveröffentlichung: prabelsblog



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