Zeitschriftenkritik
Der Politikwissenschaftler Simon Wunder befasst sich anlässlich des 80. Geburtstages des Autors und Dramatikers Botho Strauß am 2. Dezember in seinem Essay über „die Krise der europäischen Zivilisation“ mit dessen erstmals 1993 in „Anschwellender Bocksgesang“ geäußerten Warnung vor den „Verwerfungen“, die den Bestand eines Kulturkreises bedrohen. Strauß’ Begründungen beruhten auf der Einsicht, dass sich progressive Utopien nicht verwirklichen lassen, zumal die von Islamisten ausgelösten Konflikte und Kriege „sich nicht mehr ökonomisch“ befrieden ließen. Daher werde es auch in Westeuropa langfristig zwischen „den Kräften des Hergebrachten und denen des ständigen Fortbringens, Abservierens und Auslöschens … Krieg geben.“ Strauß bezieht sich damit auf die ungesteuerte Migration von Muslimen nach Europa, die „einen auf Dauer nicht lösbaren Konflikt“ erzeuge. Die Folgen dieser Migration würden die Frage aufwerfen, „ob die erfolgreichen Abwehrkämpfe, die das christliche Europa einst gegen den Ansturm arabischer Mächte führte, von heute aus gesehen nicht umsonst gewesen sind“. Die Flutung des Landes mit Fremden könne keinen guten Ausgang nehmen, zudem lösten sich laut Strauß liberale Ordnungen von innen her auf. So agiere der Staat in westlichen Demokratien immer stärker als Überwacher und Erzieher, angetrieben von einem „Fanatismus des Guten“, der jeden Widerspruch als ungehörig bekämpfe. Krisenhafte Tendenzen anzusprechen oder an Traditionsbeständen festzuhalten, werde von den Machthabern zunehmend rücksichtslos bekämpft, und der „Feuerball der Narreteien“ wachse ständig. Dabei führe die permanente Revolution gegen die Tradition ins Nichts und gehe weiter, auch wenn kaum noch etwas vorhanden sei, was umgestürzt werden kann.
Zwar wisse man nichts von „der Gestalt der künftigen Tragödie“, doch könnten die utopischen Ideologien des Westens „von einem Tag auf den anderen ins Wanken geraten“. Liberalismus und Globalismus als Treiber der Zivilisationskrise hingen zwar wie der „intellektuelle Protestantismus“ fundamentalen Irrtümern über die Natur des Menschen und das Wesen der Wirklichkeit an, doch hätten sie erfolgreich die „politisch-gesellschaftliche Hegemonie über Geist, Moral, Wissenschaft und Glaube“ erlangt, indem sie das überlebensnotwendige Bewusstsein für das tragische Wesen der Realität betäubten. Aus der sogenannten „dumpfen Masse“ sei dadurch eine „dumpf aufgeklärte dumpfe Masse“ geworden, „bis eines Tages der Selbstverzehr der Freiheit einsetzt und den Aufstieg der Tyrannei von Barbaren begünstigt“. Anknüpfend an einen „tiefen antichristlichen Rigorismus“, wenn sie den Islam verklären und auf jede Verteidigung gegenüber diesem verzichten, werde man wehrlos gegen existentielle Bedrohungen und verliere die Fähigkeit zum Freiheitskampf. Dabei werde der Krieg durch unsere Gewaltlosigkeit bloß auf unsere Kinder verschleppt, was dazu führe, dass die BRD „mit einem Wimmern ende“.
Tatsächlich seien bereits die Anschläge vom 11. September 2001 hier nicht mehr auf „gläubige Herzen“ gestoßen, und kaum einer der „Betroffenen und Betroffenheitsrepräsentanten“ habe die Tat als Anschlag auf seine Religion empfunden. Wer jedoch nicht selbst in einer Religion verwurzelt ist, müsse in einem auf Dauer angelegten Konflikt mit der „fremden und gegnerischen sakralen Potenz“ des Islam scheitern. Die „Verhöhnung des Soldaten, von Kirche, Tradition und Autorität“ werde sich künftig ebenso rächen wie eine vorgebliche Toleranz gegenüber dem Fremden, die tatsächlich nur Ausdruck von Selbsthass sei. Dabei wachse „der Durst des Angerichteten nach weiterer Zerstörung“ schnell.
Strauß hält die Zivilisationskrise hierzulande durch menschliches Handeln nicht mehr für abwendbar, sondern setzt seine „Hoffnung allein auf ein wiedererstarktes, neu entstehendes „Geheimes Deutschland“. Dafür brauche es in der gegenwärtigen Lage aber „Mut zur Sezession“ und die Bereitschaft, als Einzelgänger nach „strengeren Formen der Abweichung“ zu leben und sich „demokratischen Illusionen“ zu enthalten. Man brauche „magische Orte der Absonderung“ als Garten der Befreundeten, wo noch Überlieferbares gedeiht und wo Menschen „in Verständigung mit vorausgegangenen Geistern“ stehen können. Er ordnet sich der Rechten zu, die keine Utopien verfolgt, sondern den „Wiederanschluss an die lange Zeit“ und „Tiefenerinnerung“ durch „religiöse oder protopolitische Initiation“. Strauß fordert eine „Kritik von rechts“ auf hohem Niveau. Da es den Konservativen an Visionen einer „schöpferischen Wiederherstellung“ mangele, sei die „traditionelle Rechte“ imstande, diese Kritik zu leisten. Er versteht sich auch als „Reaktionär“, der Akteur einer „Revolte gegen die moderne Welt“ und ihre Illusionen sei. Der Reaktionär erkenne an, dass es Größeres gibt als den Menschen und strebe die „Remythologisierung“ der Kultur an, um den Schleier modernen Denkens zur Seite zu schieben. Es gelte, ein „Auffanglager für die Verirrten“ zu schaffen und die Menschen zu bilden, die sich in ihrer Zeit wie Fremde fühlen. Die bevorstehenden Verwerfungen werden laut Strauß mit der „Wiederkehr des Mythos“ und mit der Rückkehr der „Urbilder aus vorgeschichtlicher Zeit“ verbunden sein. In dieser Rolle müsse man ein „Rückwärtsgewandter“ sein und „der Stärke jener Letzten“ gedenken, „die einst heroisch dulden mussten und untergingen“.
Für seine beschriebenen Äußerungen wird Strauß von den Liberalen und Linken als Anhänger eines gefährlichen „Kulturpessimismus“ gescholten, der in der Vergangenheit dem Nationalsozialismus den Weg geebnet habe. Rechtskonservative Kritiker bemängeln dagegen eher seine konstante Weigerung, Vorschläge für Gegenmaßnahmen aufzuzeigen, doch ist dies ebenfalls eine oberflächliche Auseinandersetzung. Als bekennender Reaktionär ist es ihm gelungen, eine Reihe von Bedrohungen der europäischen Zivilisation und Kultur sehr frühzeitig intuitiv zu erkennen und historisches Geschehen, inklusive der Tragik ihrer Abläufe, besser vorauszusehen als seine Kritiker, denen solche Einsicht fehlt. Zudem haben sich seine Prognosen weitgehend bestätigt, wie auch der „National Intelligence Council“, eine Einrichtung US-amerikanischer Nachrichtendienste, konzediert, der in einer Reihe von Studien in Europa Verwerfungen mit Konflikten zwischen Migranten und Einheimischen beschrieb und den Zerfall europäischer Gesellschaften entlang ethnokultureller Linien durchaus für möglich erachtet.
Simon Wunder, der Autor des Essays, sieht hingegen im tradierten Wissen der römisch-katholischen Kirche eine Resilienz gegenüber der Tragik historischer Abläufe, da sie als einzige Institution überhaupt den Zusammenbruch einer Zivilisation nicht nur überstanden, sondern in diesem sogar zusätzliche Stärke gewonnen hat. Auch wenn Strauß sich nicht auf die katholische, sondern auf die Tradition der klassischen Antike beruft, gleichen viele seiner Gedanken katholischen Autoren wie Josef Pieper oder Joseph Ratzinger, die den Niedergang von Kulturen auf deren Abwendung von ihrem religiösen Identitätswerk zurückführten. Zu dieser Einsicht gelangte allerdings auch der Agnostiker Spengler im „Untergang des Abendlandes“: „Das Wesen aller Kultur ist Religion!“ Und im Unterschied zu Strauß geht Ratzinger von der Annahme aus, dass eine kulturelle Erneuerung möglich und der Zusammenbruch der europäischen Zivilisation abwendbar sei.
Auf den „Anachronisten“ Botho Strauß geht Chefredakteur Wolfgang Hariolf Spindler OP in einer Adventspredigt von 2016 noch einmal ein. Er bescheinigt ihm ein „Solitär“, ein „von der Masse Abweichender“ und ein „Außenseiter“ zu sein, der aus der Einsamkeit der Zelle Geheimdepeschen sende, um die da draußen, die in anderen, unsichtbaren Gefängnissen leben, mit Einsichten und Weisheiten zu versorgen und zu trösten. Der bedeutendste Dramatiker unserer Zeit, zurückgezogen in der Uckermark lebend, gebe keine Interviews und meide die Kameras. Die Tyrannei der „Kommunikationsangestellten“, die Sophistik machtsüchtiger Politiker und Wissenschaftler, die Heuchelei der sogenannten Kulturschaffenden seien ihm ein Greuel. Protestantisch getauft, wurde seine Annäherung an den katholischen Glauben durch die Platitüden eines hinzugezogenen Jesuiten blockiert. 1994 bemerkte er ironisch, dass die Öffentlichkeit den als „Ketzer“ feiere, der die ungeheure „Tapferkeit“ besitze, die Jungfrauengeburt zu leugnen. Verglichen damit sei Ratzinger der Nietzsche des ausgehenden 20. Jahrhunderts, weil es mehr Mut erfordere, das Dogma der Jungfräulichkeit Mariens und damit die Göttlichkeit Jesu Christi festzuhalten, als in Frage zu stellen. Strauß sage: „Jedes Tabu ist besser als ein zerstörtes!“ Zugleich sei er Anachronist, der gegen den Strom der Zeit lebe und das Alte ehre – nicht weil es immer besser wäre, sondern als „Produktionsstätte für Neues“. Tatsächlich ist es die Stärke und Größe von Botho Strauß, dass er die Gegenwart nicht „konstruktiver Kritik“, dem Lieblingsbegriff der Liberalkonservativen, unterwirft, sondern sie schlicht ablehnt: „Im Reich des Geistes erobert ein jeder nur das Reich, das er erbt“ (Nicolás Gómez Dávila).
Kontakt: Verlag Franz Schmitt. PF 1831, 53708 Siegburg. Einzelheft 7 Euro. Jahresabo 35 Euro. www.die-neue-ordnung.de
Kommentare
Eine Antwort zu „Die Neue Ordnung: Die Wiederkehr des Mythos“
Man nehme Moscheen und Spezi. Katholiken Kirchen und verfrachte sie, Richtung Islam,denn dort stehen sie richtig und sie könnten ihrer Führerbunker 17 mal zeigen wie das richtig geht…. Perverse Sekte….