Die deutsche Regierung spricht wieder von der Pflicht in Uniform. Friedrich Merz sagte es ganz offen: „Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben.“ Ein Satz wie ein Trommelschlag. Denn wer so redet, meint Kriegsvorbereitung, nicht Frieden.
Es wächst draußen im Land die Angst, dass wir erneut hineinschlittern in etwas, das längst Geschichte sein sollte: den Krieg gegen Russland. Wieder scharren sie mit den Hufen wie einst ihre Vorgänger in braunen Uniformen und blanken Stiefeln. Und wieder sollen junge Männer ihr Arbeitsgerät aus der Hand legen, die Kelle, den Schraubenschlüssel, die Computermaus, um sich in Reih und Glied zu stellen. Damit beginnt das alte Spiel von vorn. Und wer nicht mitspielt, wird zum Feind erklärt. Das darf nicht sein.
Meine persönliche Familiengeschichte
Ich kenne diese Geschichte. Sie steht in meinem eigenen Familienbuch. Zwei junge Männer, Bauernburschen aus dem Rothtal in Bayerisch Schwaben, 70 Kilometer westlich von Augsburg, mussten fürs Vaterland sterben. Einer war der Bruder meines Vaters, der andere der Bruder meiner Mutter. Beide 21 Jahre alt. Beide eingezogen. Beide in den unendlichen Weiten Russlands geblieben. Kein Grab, kein Kreuz, kein Abschied. Nur zwei Namen auf vergilbtem Papier der Wehrmacht. Und zwei Leben, die nie beginnen durften.
Damals war das Land ein Flickenteppich aus Feldern. Wer von der Erde lebte, hatte Erde an den Händen. Wir Kinder schoben den Schubkarren mit einem Sack Weizen zur Mühle im Dorf, wo er zu Mehl gemahlen wurde. Die Kühe zogen den Pflug, weil der kleine Hof kein Pferd durchfüttern konnte. Zwischen den Feldern wuchsen Hecken, über denen das Summen der Bienen lag. Kartoffelkäfer wurden nach der Schule mit den Fingern abgesammelt, während die Sonne brannte. Wer damals Bauer war, war kein Romantiker, sondern Überlebenskünstler.
Der Krieg zerstörte den Lauf der Generationen
Acht Menschen lebten von einem Hof, gerade mal so groß wie zehn Fußballfelder. Die Küche war das Herz des Hauses. Dort roch es nach Schmalzgebackenem. Aus Mehl, Eiern und Schmalz zauberten Mutter und Großmutter unser Essen. Fleisch gab es nur sonntags. Und doch, bei all der Mühsal, war das Leben voll, mit Lachen, Gebeten und harter Arbeit. Wir Kinder spielten barfuß auf der Hoffläche und lernten mit den Füßen das kennen, was die Hühner neben den Eiern sonst noch produzierten.
Dann kam die Einberufung. Ein Brief. Ein Befehl. Kein Widerspruch. Aus Bauernburschen wurden Soldaten. Die Familien standen tränenreich und fassungslos vor dem Haus, als die beiden losgingen. Es war Frühling, die Äcker waren bestellt, die Saat war im Boden. Die Glocke der kleinen Dorfkirche läutete Mittag. Es war der Klang des Abschieds.
Sie kamen nie zurück
Vielleicht liegen sie irgendwo bei Smolensk oder Kursk, irgendwo in derselben Erde, die sie daheim gepflügt hatten. Millionen einfache Männer, russische wie deutsche, zerrissen von Granaten, vereint im Tod, getrennt nur durch die Fahnen ihrer Herren. Befohlen von jenen, die die Front nie sahen.
Und dann, viele Jahrzehnte später, brachte die Technik die nächste Generation zusammen, was einst getrennt wurde. Nicht durch Bajonette, sondern durch das Internet. Sergey aus Moskau, Artyom aus Nowosibirsk, Oleg aus Luhansk. Programmierer, keine Soldaten. Sie boten ihre Arbeit im Internet an, ohne Uniform, nur mit Können.
Aus Feinden wurden Freunde
Ich lernte sie kennen. Höflich, klug, ehrgeizig. Wieder 21 Jahre alt. Dieselben jungen Gesichter, dieselbe Energie, die einst meine Onkel hatten. Doch diesmal verband uns kein Befehl, sondern Neugier. Kein Krieg, sondern gemeinsames Schaffen. Wir bauten Programme und merkten.
Freundschaft wächst am besten, wo der Staat nicht stört. Wir bauen heute keine Schützengräben, sondern Apps. Wir schicken keine Granaten, sondern E Mails. Wir kämpfen nicht gegeneinander, sondern gemeinsam gegen die Dummheit des Hasses. Das ist die leise Revolution unserer Zeit.
Es sind nie die einfachen Menschen, die Kriege wollen. Es sind immer jene, die Macht lieben und Menschlichkeit verachten. Wer dann die Schuld den einfachen Menschen zuschreibt, macht denselben Fehler wie jene vor über 70 Jahren.
Generation, die endlich verstanden hat
Wenn ich heute mit meinen russischen und ukrainischen Freunden an einem Programm tüftele, dann denke ich manchmal: Vielleicht sitzen irgendwo im Himmel zwei junge Bauernburschen aus dem Rothtal auf einer Wolke. Vielleicht riecht es dort auch nach frischem Brot und nach Schmalzgebackenem. Vielleicht lächeln sie, lehnen ihre Spaten an die Milchstraße und sagen leise: Seht her, sie haben Frieden gebaut. Nicht mit Stahl, sondern mit Verstand. Und mit Herz.
Dann weiß ich, dass sie stolz wären. Auf ihren Neffen, den sie nie kennenlernen durfen. Auf eine Generation, die endlich verstanden hat: Freundschaft ist das schönste Denkmal, das man gefallenen Soldaten setzen kann. Und das lassen wir uns nicht von Berlin und Brüssel kaputtmachen.
