Ich wollte mit diesem Artikel an meine Existenz erinnern. Es hat sich so ergeben, dass ich die letzten drei Monate in Batumi lebe. Das ist ein georgischer Ferienort an der Schwarzmeerküste: Palmen, entspannte Spaziergänge entlang der Promenade, Ausflüge in die Berge, köstlicher Wein, Käse, günstige Unterkünfte und Wärme bis in den Winter hinein.
In Georgien ist es in letzter Zeit gelungen, einen Punkt zu erreichen, an dem sich die Wirtschaft stabil entwickelt. Es wurde ein Gleichgewicht gefunden! Die geografische Lage wird genutzt! Die Währung ist in den letzten sechs bis sieben Jahren stabil geblieben! Wenn man durch das Land reist, ist die Anzahl an Infrastrukturprojekten beeindruckend – neue Tunnel, Wasserkraftwerke. Im Bauwesen sind hauptsächlich Chinesen beschäftigt, die ihren Seidenstraßenplan erweitern wollen, indem sie alternative Routen schaffen.
Natürlich kann man nicht sagen, dass das Land wie die Schweiz ist, aber im Vergleich zu 2010 sind die Unterschiede enorm. Kürzlich fanden in Georgien Parlamentswahlen statt, bei denen erneut die Partei „Georgischer Traum“ gewonnen hat. Die Opposition, vertreten durch drei Parteien, behauptete massive Wahlfälschungen, konnte jedoch bisher keine Beweise vorlegen. Es gab kleinere Zwischenfälle, aber zu sagen, dass sie den Verlauf der Wahlen beeinflusst hätten, ist schlichtweg absurd. Insgesamt erzielte die Opposition nicht einmal 40 %.
Ein wichtiger Punkt: Am 14. Dezember finden auch Präsidentschaftswahlen statt (in Georgien ist der Präsident eine nominelle Figur, da die tatsächliche Macht beim Parlament liegt). Die Wahl verläuft folgendermaßen: Eine Wahlversammlung (150 Parlamentsabgeordnete und 150 Delegierte der Kommunalverwaltungen) wählt den von den Abgeordneten vorgeschlagenen Kandidaten.
Letzte Woche erklärte die Regierungspartei, dass die Diskussion über einen EU-Beitritt bis 2028 ausgesetzt werde. Zudem bleibt bis zur Präsidentschaftswahl nur noch etwas mehr als eine Woche, und die Opposition, die versteht, dass sie verlieren wird, hat die Menschen auf die Straßen gebracht. Anfangs waren die Proteste friedlich, doch inzwischen werden immer größere Kräfte mobilisiert, Pyrotechnik und Molotow-Cocktails gegen die Polizei eingesetzt. Immer wieder werden die Demonstranten vom Platz vor dem Parlament in Tiflis vertrieben. In anderen Städten verlaufen die Proteste friedlicher. Allerdings hat die Zahl der Menschen auf den Straßen in letzter Zeit deutlich zugenommen. In Batumi beispielsweise versammeln sie sich um 19–20 Uhr, marschieren bis 2 Uhr nachts durch die Straßen und blockieren diese.
Das alles ist sehr interessant zu beobachten. Meiner Prognose nach wird die Bewegung bald abebben, sofern nicht etwas Außergewöhnliches passiert – etwa die Tötung eines Demonstranten. Zeitlich ist die Opposition strikt auf den Wahltag (14. Dezember) begrenzt.
Beobachtend stelle ich fest, dass das alles an den Umsturz in der Ukraine 2014 erinnert. Die Gründe sind die gleichen (die Pause beim EU-Beitritt). Das ärgert die Bevölkerung post-sowjetischer Staaten, die glauben, dass ein EU-Beitritt wie ein goldener Jackpot ohne jegliche Risiken ist. Die Bevölkerung erhält einen Aufruf von Interessengruppen und geht auf die Straßen.
Anfangs sind die Proteste tatsächlich friedlich: Für die Medien wird eine Kulisse geschaffen – junge Leute versammeln sich, um an der Zukunft des Landes teilzuhaben. Ob in der Ukraine Studenten oder in Georgien – das Bild ist ähnlich. Jetzt versucht man, Schüler für die Proteste zu gewinnen (stellen Sie sich vor – die Präsidentin forderte die Schüler auf, als Protestmarsch durch die Straßen zu ziehen!). Die Schüler haben den Unterricht verlassen und ziehen nun durch die Stadt, zünden Böller.
Entmenschlichung der Polizei/Sicherheitskräfte: In der Ukraine 2014 begann sofort eine Kampagne zur De-Anonymisierung von Polizisten. Listen und Adressen der Familien wurden erstellt. In den Medien wurden die Polizisten mit entmenschlichenden Begriffen wie „Robocops“ oder „Unmenschen“ bezeichnet. Das alles hat nur ein Ziel – es soll den Protestierenden moralisch leichter fallen, die Sicherheitskräfte anzugreifen.
Pyrotechnik wurde in beiden Fällen in der Anfangsphase eingesetzt. Es wirkt beeindruckend für die Medien und erscheint harmlos. Doch ein Treffer mit einer Rakete auf einen ungeschützten Körperteil kann schwere Verletzungen verursachen.
Gerüchte über russische Sicherheitskräfte: Gegen Ende 2014 ließ der Maidan in Kiew nach. Dann kamen Molotow-Cocktails ins Spiel. Die wütenden Polizisten wurden aktiver beim Auflösen der Demonstrationen. Damals kursierte das Gerücht, dass dies keine ukrainischen Polizisten seien, sondern aus Russland entsandte Kräfte. Genau solche Gerüchte gibt es jetzt auch in Georgien. Es wird intensiv über eine mögliche militärische Intervention aus Russland diskutiert.
Die Bevölkerung, die die Regierung unterstützt, nimmt nicht an den Demonstrationen teil, genauso wie in der Ukraine. Das sind gewöhnliche Menschen – Arbeiter, Reinigungskräfte, Fahrer. Sie haben keine Zeit, nachts durch die Straßen zu ziehen. Sie sind der Meinung, dass die Regierung das Problem selbst lösen sollte.
Zusammenfassend: Das Ergebnis des Maidan in der Ukraine sehen wir an der Front – Hunderttausende Tote, zerstörte Städte und Schicksale, Millionen von Flüchtlingen. Das Ergebnis der aktuellen Proteste in Georgien ist noch unklar, aber alles bewegt sich auf ernsthafte Gewalt zu. Georgier sind recht hitzköpfige Menschen. Wünschen wir diesem kleinen Land an der Schwarzmeerküste also, einen Kompromiss zu finden und nicht in den Abgrund eines Bürgerkriegs zu stürzen!
Kommentare
Eine Antwort zu „Ein Zeuge berichtet: Was die Proteste in Georgien bedeuten“
Das wünsche ich auch, Souverän, Neutral, Frei ist wohl doch das Beste…. Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden…. Friedrich v.Schiller…..