von Roger Letsch
Dresden, Litfaßsäule, Papier auf Leim, Digitaldruck. Titel: „Steht zusammen, schlagt zurück“. Dem Betrachter bietet sich ein räumlich klar gegliedertes Arrangement von Akteuren, wobei sich die im Vordergrund befindlichen Texte dominant verhalten, was durch die Verwendung von Versalien (schreien, brüllen) noch verstärkt wird. Die negative Stimmung wird durch eine Neigung von 3° (schief, ungerade) weiter vergrößert. Der Subtext „Für eine organisierte Arbeiterjugend“ deutet auf einen Mangel hin, nämlich den von Einigkeit und Stringenz. Die am unteren Bildrand angebrachten sechs Logos, die allesamt sehr unterschiedlich und unähnlich ausfallen, einzeln betrachtet jedoch von starkem Narzissmus und Größenwahn zeugen, unterstreichen die Zerrissenheit. So gibt sich etwa das Chapter aus Münster nicht mit den verordneten obligatorischen Insignien „Hammer und Sichel“ zufrieden, sondern ergänzt das Symbol eigenmächtig durch eine Feder, was auf einen größeren Anteil revoluzzender Studenten im Kader der Antifa schließen lässt. Man kann nur hoffen, dass es sich bei diesen Studenten um Töchter und Söhne der Arbeiterklasse handelt, weil sie sonst der reaktionären und privilegierten Intelligenz zuzurechnen sind und im Klassenkampf nichts zu suchen haben!
In der Mitte des Meisterwerkes wird der Betrachter von einer Figurengruppe aus drei Personen bedroht, der gewählte Blickwinkel lässt die Vermutung zu, man wolle die Gesellschaft, der der Betrachter ja angehört, unterschiedslos und ohne viele Worte in die Knie zwingen. Denn Münder zum Reden und Disputieren hat der Künstler den Protagonisten nicht gegeben und zudem deren Gesichtsfeld durch Sturmmaske und schlechtsitzenden Bettbezug eingeschränkt. Als Kontrast zu der zur Schau getragenen kommunistischen Gesinnung der dargestellten stattete der Künstler die Szene mit Attributen des Kapitalismus aus (Adidas-Klamotten, Jeans, Arbeitshose mit Reflektoren, wie die Berufsgenossenschaften sie für Tätigkeiten im Freien fordern) und drückt ihnen ein Symbol der Meinungsfreiheit (Megafon) in die Hand. All das hätten sie im Kommunismus natürlich nicht bzw. würde es ihnen umgehend abgenommen (Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit). Dass alle drei Figuren diesen dialektischen Konflikt mühelos auszuhalten scheinen, deutet auf eher unterdurchschnittliche kognitive Ausstattung oder aber überdurchschnittlich erfolgreiche Gehirnwäsche hin.
Zentraler Akteur der Szene ist jedoch ein kleines rotes Büchlein, die „Worte des Vorsitzenden Mao Tsedong“, das in genialer Symbiose mit den maroden, formatfüllenden DDR-Plattenbauten im Hintergrund kommuniziert. Diese Verbindung zeigt in bedrückender Weise, was dem Betrachter mit dem Kommunismus winkt und was ihm blüht: ideologische Gleichschaltung und Unterdrückung sowie sozialistische Mangelwirtschaft und Hässlichkeit. Die Dargestellten selbst sind sich ihrer Rolle und der Endstation dieser Umwandlung nicht bewusst, was man daran erkennt, dass die Mao-Bibel-Schwenkerin ihr Pionierhalstuch am Hinterkopf verknotet hat, anstatt den Knoten vorn am Hals zu tragen. Sie kennt schlicht die Symbole nicht, was angesichts ihres Alters nicht verwunderlich ist, jedoch andererseits ein düsteres Bild von der Qualität unseres Bildungssystems zeichnet.
Wer aber ist der unbekannte Meister, dem wir dieses dystopische und verstörende Kunstwerk verdanken? Nur dem eingeweihten Blick offenbart sich die seitlich rechts angebrachte Signatur, in der ein gewisser „Ali Höhler“ vortäuscht, im Sinne des Presserechts verantwortlich für den Inhalt des Werks zu sein. Historiker erkennen natürlich sofort, dass es sich hierbei um ein Ablenkungsmanöver unter falscher Flagge handelt und viel über die Intentionen des Künstlers und dessen Schulbildung aussagt. Der angegebene Albrecht (Ali) Höhler (1898−1933) war nämlich Mitglied des paramilitärischen „Kommunistischen Rotfrontkämpferbundes“ und wurde bekannt für den Mord an einem Nazi namens Horst Wessels, dessen Tod die Faschisten unter Hitler zum Opfermythos verklärten. Einen Ali Höhler wird es im Jahr 2018 jedoch unter der angegebenen Berliner Adresse (Karl-Marx-Straße, ist ja klar) nicht geben. Die Camouflage des Künstlers und seiner Addidas-Revoluzzer zeigt, dass man glaubt, heute noch die Machtergreifung Hitlers von 1933 verhindern zu können. Und zwar durch die Diktatur eines Stalin oder Mao. Dass man sich in ähnlicher Weise wie Höhler berechtigt fühlt, „proletarische Abreibungen” zu verteilen und dabei das Gewaltmonopol des Staates oder die Justiz lächelnd zu ignorieren, darf angenommen werden.