Wegen hundertfachem Kindesmissbrauch auf dem Campingplatz in Lügde hat das Gericht hohe Haftstrafen gegen die zwei Hauptangeklagten (12 und 13 Jahre) verhängt und anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Kann man nun davon ausgehen, dass die Täter für die Zukunft an Wiederholung ihrer Taten gehindert werden? Vermutlich ja, wenn man die politische Brisanz des Falls berücksichtigt, vor deren Hintergrund wohl kaum ein Gutachter sich die Finger verbrennen möchte. Und genau dort liegt das erste Problem – die „Gutachter-Justiz“ delegiert wichtige Entscheidungen eben an jene Gutachter, deren Ergebnisse oft den Wünschen der Politik und manchmal denen gewisser Seilschaften entsprechen. Man erinnere sich an den Steuerfahnder-Skandal in Hessen, den Fall Mollath, den Justiz-Skandal Ulvi K. und viele weitere, die eines gezeigt haben: Gutachten werden geliefert wie bestellt und fallen bei ordentlicher Prüfung in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
In unserer täterfixierten Gesellschaft fehlt der Blick auf die Opfer. Während perversen Gewaltverbrechern und Pädophilen durch zweifelhafte Netzwerke wie „Kein Täter werden“ kostenlose Chancen auf Rehabilition frei Haus geliefert werden, steht für die Betroffenen oft nur das Angebot aus dem normalen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung, das nicht im Mindesten die Folgen jahrelanger Traumatisierung auffangen kann. Einhergehender Jobverlust und sozialer Abstieg, Schwierigkeiten in Beziehungen sind neben psychischen Störungen, oft begleitet von Suizidgefahr, die häufigsten „Begleiterscheinungen“ durch sexuellen Missbrauch. Morgen kann schon wieder ein neuer Fall in der Dimension von Lügde aufgedeckt werden, es besteht also kein Grund zum Aufatmen nach den „harten Urteilen“, die am Ende einer langen Kette von Behördenversagen stehen.