“Ein altes Blatt“ – Franz Kafka und die Fremden.

von Heino Bosselmann bei AktionNordOst *)

Die düster-visionäre Kraft der Prosa Kafkas, mit der ihm neben aller literarischen Wirkung eine bedrückende Prophetie für das grausige zwanzigste Jahrhundert gelang, mag bis ins einundzwanzigste reichen.

Man lese in Zeiten der großen Wanderungen unbedingt seine kurze, 1920 im Band „Der Landarzt“ erschienene Parabel „Ein altes Blatt“, denn man wird in diesem von der Literaturwissenschaft unterschätzten, mittlerweile beinahe vergessenen Text eine Geschichte mythischen Anklangs wiederentdecken, die wie kaum ein anderes Stück Literaturzu unseren derzeitigen Sorgen paßt, gewissermaßen ein Gleichnis, nach dem wir suchen, solange wir weder eine Lösung für das Problem selbst finden noch überhaupt einen Ort, uns zu positionieren. Als was denn überhaupt? Als Deutsche? Als Nation? Als Abendländer? Mindestens als Laizisten?

 Heidelberg

 

Selbstverständlich: Man hüte sich vor schnellen und verkürzenden Übertragungen. Nur berücken einen seit der kopf- und heillosen Flüchtlingskampagne von 2015 manche Passagen dieser gruseligen Parabel mit der Intensität des Aktuellen.

In einem für die Stoffe Kafkas typisch zeitlosen, irgendwie quasimittelalterlich anmutenden Ambiente spielt sich etwa das ab, was wir seit der sogenannten Flüchtlingskrise erleben. Fremde sind angekommen; sie fragen nicht nach Befugnissen. Was ihnen an Kultur fehlt, kompensieren mit kraftvoller Präsenz:

 Speyer

 

„Was sie brauchen, das nehmen sie sich. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und überläßt ihnen alles.“ Gut, auf die Motive der hier eintreffenden Flüchtlinge läßt sich das nicht beziehen. Sie sind keine Nomaden; aber es hat –aus hinreichenden Gründen, etwa in der Subsahara – eine Völkerwanderung eingesetzt, zu der man sich verhalten muß, letztlich aber noch nicht zu verhalten weiß.

Stuttgart

Es kommen eben nicht die „Fachkräfte“ – Woher denn? -, es kommen jene, die alles verloren haben und danach trachten, etwas zu gewinnen, mindestens das Recht teilzuhaben am weißen Wohlstand der früheren Unterdrücker und Ungläubigen. Dabei wird es nicht allein um Gerechtigkeit gehen, sondern um die Auseinandersetzungen, verursacht von kultureller Differenz und Spannung. In Kafkas Parabel bricht die Invasion gänzlich unerwartet herein. Es gab zuvor keinen Kampf, nicht mal empfundene Bedrohung, und daher wiegte man sich ohne Abwehrmaßnahmen in allzu vertraut gewordener Sicherheit. Aber diese Geborgenheit erwies sich als trügerisch.

Heidelberg

Die Eindringlinge sind plötzlich da, raumgreifend zahlreich; und die angestammten Bewohner haben ihnen rein gar nichts entgegenzusetzen. Sie wissen nicht mit ihnen umzugehen. Schreckensstarr schauen sie perplex zu, sie warten, aber sie wissen bereits mit intuitiver Sicherheit: Jetzt wird sich alles verändern. Zum früheren Leben – so unter sich und ihresgleichen – gibt es kein Zurück mehr. Das allzu alltäglich Vertraute ist unwiederbringlich dahin, das einst Eigene zerstört.

Die da ankommen assimilieren sich nicht, erleben sie sich doch als kräftiger, radikaler und potenter als das Zielland. Was geschieht, mutet eher darwinistisch an. Die Fitteren, trainiert von Entbehrungen, setzen sich durch. Kein Grund, nach Legitimation zu fragen oder Pietät gegenüber der gastgebenden Kultur walten zu lassen. Die Fremden kommen nicht als Gäste; sie werden sich einrichten. Mag sein, die Einheimischen werden irgendwann die Gäste sein. Geduldet, nicht geschätzt oder gar gemocht.

Die Parabel beginnt mit Sätzen, die zur Einschätzung unserer Gegenwart passen: „Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.“ – Das Vaterland, denkt man als Leser bei sich: Tatsächlich, lange nichts davon gehört.

Würzburg

Der Erzähler, ein Schuster, dessen Werkstatt am Platz des kaiserlichen Palastes liegt, berichtet in still hilfloser und sich dem Schicksal ergebender Angst, wie die Fremden seine Stadt übernahmen, ohne daß sich ihnen jemand entgegenstellte. Die Menschen sind gelähmt. Sie hoffen nur noch darauf, das Unheil möge an ihnen und ihrem Haus vorbeiziehen und das grausige Geschick eher dem Nachbarn widerfahren.

„Burka = Emanzipation“. Ganz gewiß tragen diese Frauen die Burka freiwillig, denn unsere Feministinnen müssen es ja wissen.

Lieber den Kopf einziehen, unauffällig bleiben, sich verbergen, bloß nicht Aufmerksamkeit erregen, so wie es in der Chronik des Schusters dann nebenan aufs Grausamste dem Fleischhauer geschah …

Die alte tradierte Kultur, durch ihr bislang allzu gewohntes Gleichmaß des Normalen wie sediert, spürt plötzlich, daß sie ideen- und kraftlos den Ansturm von Okkupanten erdulden muß und allenfalls noch eine Art Appeasement betreiben kann. Insbesondere erweist sich die Herrschaft hinter ihrer großen Symbolik und dem hohlen Gepränge als gänzlich machtlos:

Ludwigshafen

 

„Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein- und ausmarschierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern.“

Was bleibt? Eigentlich müßten die Bürger sich verteidigen oder mindestens ihre Identität sichern. Aber diese Chance, sollte sie bestanden haben, ist verstrichen, und so stolz die Bürger einst gewesen sein mögen, so paralysiert erleben sie sich jetzt: „Uns Handwerkern und Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie gerühmt, dessen fähig zu sein. Ein Mißverständnis ist es; und wir gehen daran zugrunde.“

Ja, man denke rechtzeitig über fatale Mißverständnisse nach. Wendungen vollziehen sich schnell, gerade vorm Hintergrund vermuteter Stabilität.

Mainz

Nein, es ist nicht der Fremde, der per se den Einheimischen gefährdet. Es ist vielmehr das offenbare Unvermögen einer lange gewachsenen und allzu selbstverständlich scheinenden Kultur, sich ausgehend von ihrem großen, aber immer weniger wertgeschätzten Erbe aufs Neue revitalisieren zu können, um solcherart die eigene Geschichte, Sprache, Kultur weiter zu leben. – Nur andeutungsweise: Wie wollte eine geschichtlich opferreich errungene säkulare Gesellschaft mit einer wesentlich religiös inspirierten Zuwanderungskultur umgehen? Säkular, das ließe sich auch als weitgehend ideologieabstinent verstehen, während der politische Islam eindeutig ideologisiert daherkommt. Die Mittelmeerproblematik? Es gäbe ethisch nur eine saubere Lösung – sichere Fährverbindungen. Die aber ist nicht gleich für alle anderen Fragen die Lösung, sehr existentielle darunter.

Traumatisierte, ausgemergelte Flüchtlinge

 

 

Mit „Willkommenskultur“ ist nichts entscheiden. Es fängt alles erst an. Und es sieht für uns überhaupt nicht gut aus.

Ein altes Blatt – Franz Kafka

Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.

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