Kommentar von Kai Johannsen zur Prognosefähigkeit von Zinsstrukturkurven
Wenn Sie derzeit jemanden treffen, der nicht mit einer Rezession der US-Wirtschaft und anderer Volkswirtschaften rechnet, dann sollten Sie diese Person fragen, ob sie überhaupt weiß, was eine Rezession ist. Denn die Signale, die derzeit von den Bondmärkten kommen, weisen eindeutig darauf hin, wohin die Reise in Sachen Konjunktur geht. Aus Furcht, dass der US-Handelskonflikt nicht nur kleinere Blessuren in der Wirtschaft anrichten, sondern ganz heftige Beeinträchtigungen der konjunkturellen Entwicklung hinterlassen, sprich eine Rezession auslösen wird, steuern die Anleger seit Wochen und Monaten sichere Häfen an, also sichere Staatsanleihen. Das dadurch ausgelöste Kurs- bzw. Renditebild zeigt damit an, worauf sich die Anleger einstellen. In der Vergangenheit waren das ausgesprochen sichere Signale für die weitere realwirtschaftliche Entwicklung.
Durch die Käufe sicherer Staatsanleihen werden die Renditen der betreffenden Papiere immer weiter heruntergedrückt. Das führt zu Null- und Negativrenditen. Ein Phänomen, das seit Ende 2011 bekannt ist. Um noch positive Bondrenditen einstreichen zu können, wandern die Anleger die Laufzeitenkurve weiter herauf, mit dem Ergebnis, dass auch in den langen Laufzeitenbereichen die Renditen immer weiter fallen und schließlich ins Minus rutschen. So gibt es mittlerweile Länder, deren gesamte ausstehende Renditekurve von zwei bis 20, 30 oder 50 Jahren Restlaufzeit komplett im Minus liegt.
Den Anfang machte der Staatsanleihenmarkt Dänemarks im Juli. Kurze Zeit später folgte die Schweiz. Vor einigen Tagen kippte auch die Kurve der Bundesanleihen ins Negative. Einen Tag später gesellten sich die Niederlande dazu. Am Freitag wurde das fünfte Mitglied in den Club der Staaten aufgenommen, die eine komplette Bondkurve mit rotem Vorzeichen haben: Schweden.
Eine negative Rendite bzw. die Tatsache, dass die Kurve im Minus ist, ist allein natürlich kein verlässliches Rezessionssignal. Sie zeigt aber, wie groß die Furcht der Investoren vor einer Rezession ist, denn sie drückt die damit verbundene Fluchtbewegung in sichere Assets aus, kann also als entsprechender Gradmesser für diese Unsicherheit herangezogen werden. Ein sehr guter Signalgeber ist aber die Kurvenformation. In den USA, deren Kurve zwar noch im positiven Bereich liegt, ist die Kurve der Staatsanleiherenditen von drei Monaten bis zehn Jahren und seit der abgelaufenen Woche auch die Kurve von zwei bis zehn Jahren Restlaufzeit der US-Staatsbonds komplett invertiert. Das bedeutet: Dreimonatige und zweijährige Bondrenditen liegen über den zehnjährigen Sätzen. Die Anleger stellen sich bei einer solchen Formation der Kurve darauf ein, dass die Notenbank der schwächelnden oder in der Rezession befindlichen Wirtschaft auf längere Sicht mit niedrigen Leitzinsen unter die Arme greifen muss. Dieses Signal war in der Vergangenheit sehr sicher, ging doch jeder Rezession in den USA in den vergangenen 50 Jahren eine Inversion der Zinsstrukturkurve – etwa im Bereich von drei Monaten und zehn Jahren Restlaufzeit – voraus.
Auch die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) weisen darauf hin, dass eine inverse Renditestruktur gemeinhin als einer der besten Rezessionsindikatoren gilt. So soll die Kurvensteilheit auch der zentrale Input-Faktor eines Modells der New Yorker Fed sein, um die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den kommenden zwölf Monaten einzuschätzen. Das Modell zeige aktuell eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 31,5% und liege damit in den Dimensionen, die auch schon vor früheren Rezessionen verzeichnet wurden. Und die USA sind mit ihrer inversen Kurve ja nicht allein. Auch Kanadas Zinsstrukturkurve ist invertiert, die britische Kurve tat es ihren amerikanisch-kanadischen Pendants in den vorigen Tagen gleich. Die Briten haben erstmals seit 2008 wieder eine inverse Kurve, die USA seit 2007.
Und die Bund-Kurve? Die zehnjährigen Renditen fallen derzeit kräftig. Bis auf das Rekordtief von minus 0,727% ging es am Freitag herunter. Die 30-jährige Bundrendite ist ebenfalls sehr stark unter Druck, hier wurde der Rekord am Freitag mit minus 0,313% gemessen. Die Rendite zweijähriger Papiere fällt auch, aber nicht so stark. Dadurch verflacht sich die Kurve immer mehr. Der Abstand zwischen zwei und zehn Jahren beträgt nur noch rund 20 Basispunkte. Vielleicht lässt sich ja bald das nächste Novum am Markt der Bundesanleihen beobachten, und zwar eine komplett flache Kurve, die dann in die Inversion übergeht. Neu wäre dabei, dass sich dieses Phänomen dann erstmals im negativen Renditebereich abspielt.
(Börsen-Zeitung, 17.08.2019)