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Plastik: Besser als sein Ruf

Plastik (c)Addendum

(Quelle Audio: Addendum)

Wenn die Vereinten Nationen zu einem Krieg aufrufen, muss die Lage ernst sein: Immerhin wurde die UNO nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um den Frieden in der Welt dauerhaft zu sichern. Aber am 23. Februar 2017 war es so weit: „Die Vereinten Nationen erklären dem Plastik in den Ozeanen den Krieg“, verkündeten sie per Aussendung. Und die ganze Welt war mit dabei. Selten ist ein Umweltthema auf so viel Resonanz bei Politik und Bevölkerung gestoßen, wie es bei Plastik der Fall war.

Wir könnten den Krieg trotzdem verlieren. Plastik ist eines jener Probleme, die dem Menschen buchstäblich über den Kopf wachsen: 8,3 Milliarden Tonnen wurden produziert, seit Plastik in den fünfziger Jahren seinen Siegeszug angetreten hat. Das ist eine so absurd hohe Zahl, dass sie genauso absurde Vergleiche provoziert: So schwer wie das bislang produzierte Plastik sind 45 Millionen Boeing 747. Oder über eine Milliarde afrikanische Elefanten. Es gibt auf der Erde derzeit zwischen 500.000 und 750.000 Elefanten, und gerade einmal 1.548 Boeing 747 fliegen um die Welt.

In den tiefsten Tiefen

Einer der größten Vorteile von Plastik wird zu einem Problem, sobald es seinen Zweck erfüllt hat: Es ist ein sehr langlebiges Material, es kann je nach Art des Plastiks Jahrhunderte brauchen, bis es sich zersetzt. 6,3 Milliarden Tonnen des bislang produzierten Plastiks wurden zu Müll, und 80 Prozent davon weder recycelt noch verbrannt – es liegt irgendwo herum oder schwimmt im Meer. Rund vier Milliarden Tonnen, fast die Hälfte allen Plastiks, wurde erst nach dem Jahr 2000 hergestellt, und sollten Produktion und Verbrauch konstant bleiben, würde der Plastikmüll bis 2050 auf zwölf Milliarden Tonnen anwachsen. Auf weit mehr, als bislang erzeugt wurde. Über eine halbe Milliarde Elefanten mehr.

Sieben Millionen Tonnen an Plastik und 1,5 Millionen Tonnen Mikroplastik – das sind Plastikteilchen mit höchstens 5 Millimeter Durchmesser – sollen allein im Jahr 2017 in den Weltmeeren gelandet sein. Wissenschaftler vermuten, dass es teilweise auf den Meeresboden sinkt und dort eine neue geologische Schicht bildet, die einst das menschliche Zeitalter auf der Erde kennzeichnen könnte. Zeugnisse unserer Zivilisation wie Legosteine, Autoreifen, Wasserflaschen, künstliche Hüften und Gartenschläuche enden in von den Gezeiten zerriebener Form an jenen wenigen Flecken der Erde, die dem Menschen noch verschlossen blieben.

Plastiksackerl: Ein Bruchteil des Problems

Deshalb setzte sich in den vergangenen Jahren die Ansicht durch, dass Plastik wie der Besen in Goethes Zauberlehrling vom nützlichen Diener zur großen Not wurde. Weil wir die Geister, die wir riefen, recht leicht losgeworden sind, indem wir sie eben ins Meer gespült, auf Müllhalden gekippt oder verbrannt haben. Wie können wir jetzt den von den Vereinten Nationen geforderten Sieg im Krieg gegen das Plastik erringen, das doch so lange als Verbündeter galt? Wer verbannt den Besen wieder in seine Ecke? Und kann es überhaupt eine Alternative zu Plastik geben?

Dass Plastik zum Problem wurde, leugnet mittlerweile selbst die Plastikindustrie nicht mehr. Großkonzerne wie Shell, ExxonMobile und BASF haben sich zur „Alliance To End Plastic Waste“ zusammengeschlossen (während sie weiter Plastikfabriken bauen, wie Kritiker bemängeln). Die EU hat ab 2021 ein Verbot von bestimmten Einwegplastiken auf den Weg gebracht, darunter fallen etwa Strohhalme, Wattestäbchen und Plastikbesteck. Österreichs Regierung verhält sich in diesem Konflikt bislang weitgehend neutral: Bei einem Plastik-Gipfel Anfang Jänner wurde erst einmal ein Plastiksackerlverbot ab 2020 beschlossen. Das klingt gut, ist aber nicht viel mehr als ein symbolischer Akt: 7.000 Tonnen Plastikmüll pro Jahr sollen durch das Verbot vermieden werden. Allerdings fallen in Österreich jedes Jahr etwa 300.000 Tonnen Plastikverpackungsmüll an – die Sackerl machen lediglich zwei Prozent des Problems aus.

Was wären die Alternativen zum Plastiksackerl?

Videoquelle: Addendum

Dämon Plastik

Große Ziele hat sich die Regierung dennoch gesetzt, auch wenn sie noch nicht gesagt hat, wie sie zu erreichen wären: Bis 2025 sollen mindestens zwanzig Prozent des Plastikverpackungsmülls in Österreich eingespart werden. „Über die Kronen Zeitung proklamiert“ wurde dieses Ziel Anfang Dezember des Vorjahres, sagt einer derer, die sich mit Müll auskennen, Altstoff-Recycling-Austria-Vorstand Christoph Scharff. Und er macht recht deutlich, dass er von dieser Ankündigung genervt ist. 60.000 Tonnen ist das Einsparungsziel in absoluten Zahlen – bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und am Wegesrand liegt verdammt viel Müll.

Eventuell ist sogar das Vorhaben Mist: „Ich halte das für ein politisch aus der Hüfte geschossenes Ziel ohne jede Faktenbasis“, sagt Scharff, und stellt eine einfache Frage: „Warum? Was ist nachher besser? Das erwarte ich von einer Umweltgesetzgebung schon, dass sie mir sagt: ,Das ist sinnvoll, weil‘.“ Eine plausible Begründung für das Vorhaben fehlt ihm genauso wie die Alternative zu den Plastikverpackungen. Und er reiht sich damit in eine Reihe von Experten ein, die davor warnen, Plastik vorschnell zu dämonisieren und mit unausgegorenen Lösungen „den Bock zum Gärtner zu machen“, wie er es formuliert.

Plastic porn

Selbst so mancher Kritiker der Plastikindustrie ist erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit Kunststoffe zum ultimativen Bösen ernannt wurden. „Es passiert gerade fast schon ein Plastikbashing“ sagt etwa Christian Pladerer vom Ökologie-Institut. Das treibt skurrile Blüten: Als die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die mit einer Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos für Aufsehen sorgte, ein Foto ihres Mittagessens im Zug auf Twitter postete, erntete sie entsetzte Kommentare: Wie sie nur etwas essen könne, das in Plastik eingepackt ist! „Plastic porn“ nannte der britische Guardian neulich die Bilder vom Müll in den Meeren, die die Emotionen der Menschen hochgehen lassen.

Man darf nicht vergessen, dass Plastik prinzipiell ein gutes Material ist“, sagt Pladerer. Und sicher nicht unser größtes Problem: „Wir sollten die Auswirkungen des Klimawandels viel ernster nehmen als die Plastiksackerl“, sagt er. Dass allerdings der Fokus der Politik auf dem Plastik und symbolischen Maßnahmen wie dem Sackerlverbot statt beim Klimawandel liegt, wundert ihn nicht: „Ein Schelm, wer denkt, dass das Methode hat.“ Plastikverpackungen machen gerade einmal 1,5 bis 2 Prozent des ökologischen Fußabdrucks aus, der jährliche Plastiksackerlverbrauch eines durchschnittlichen Konsumenten verursacht genauso viele Emissionen wie 13 Kilometer mit dem Auto zu fahren.

Es ist schwierig mit den Sackerln

Der symbolische Akt könnte sogar zu einer „ökologischen Katastrophe“ führen, sagt Nunu Kaller; und auf den ersten Blick erstaunt es, was sie arbeitet: als Konsumentensprecherin bei Greenpeace. Die NGO befürwortet das Verbot grundsätzlich, aber werden die Plastiksackerl einfach gegen Einweglösungen aus Papier oder Bio-Kunststoffen ausgetauscht, macht das alles nur noch schlimmer. Weil nichts, was die Einweg-Plastiksackerl als Einmalprodukt ersetzen könnte, ökologisch besser ist. „Das Zauberwort heißt immer mehrweg“, sagt Kaller – und nicht nur beim Plastiksackerl. „Das Problem ist, dass das Thema Plastik so kompliziert ist und so undifferenziert diskutiert wird. Aber es ist gut, dass es thematisiert wird“, sagt sie.

Spar-Pressesprecherin Nicole Berkmann steht dem Plastiksackerlverbot „neutral“ gegenüber, wie sie es formuliert. Die Verträge mit den Zulieferern seien gekündigt, Spar bietet jetzt vom klassischen Papiersackerl bis zum Bio-Kunststoffsackerl aus Zuckerrohr unterschiedlichste Alternativen an. Die Konkurrenz von Rewe (Billa, Merkur, Penny) hat das Plastiksackerl bereits verbannt, auch die Knotenbeutel genannten Obst- und Gemüsesackerl im Kassa-Bereich gibt es dort nicht mehr. Auch das sei „ein symbolischer Akt gegen die Wegwerfgesellschaft“, sagt Tanja Dietrich-Hübner, Leiterin der Stabsstelle Nachhaltigkeit bei Rewe. Für diesen hätten vor allem die Mitarbeiter in den Filialen viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Umgekehrt, sagt sie, sei es „aber auch nicht unsere Aufgabe, Konsumenten zu erziehen. Wir können Anreize setzen, aber wir wollen den Menschen auch keine Hürden in den Weg legen.“ Sackerl bei der Kassa wird es in Supermärkten weiterhin geben, nur eben nicht aus Plastik – auch wenn die Alternativen eine schlechtere Ökobilanz haben.

1 frische Zwiebel gehackt“

Im Obst- und Gemüsebereich wird bei Rewe nun ein in Österreich erzeugtes Mehrwegsackerl aus Holzfasern als Plastikalternative angeboten, bis Ende 2019 will der Konzern im ersten Schritt bei der Bio-Schiene „Ja! Natürlich“ nur noch loses oder nachhaltig verpacktes Obst und Gemüse anbieten; konventionelle Produkte sollen in einem zweiten Schritt folgen. „Das Thema Verpackung ist für die Kunden ein viel größeres Thema als noch vor fünf Jahren“, sagt Dietrich-Hübner, darin sieht sie auch eine Gefahr: „Ich würde schon sagen, dass es ein plakativer Zugang ist, wenn man sagt, man muss komplett raus aus Plastik.“ Einen plastikfreien Gang, wie ihn ein niederländischer Supermarkt neuerdings hat, wird es bei Billa und Merkur auf absehbare Zeit nicht geben, sagt sie: „Es sei denn, Sie überzeugen mich davon, dass es Sinn macht. Das ist nur ein guter PR-Gag.“

Auch Spar-Pressesprecherin Nicole Berkmann ortet ein „Plastikbashing“, an dem nicht zuletzt die Medien schuld seien: „Die Rückmeldungen der Kunden sind immer so, wie die aktuelle Berichterstattung ist“, sagt Berkmann. Deshalb beklagen sie sich aktuell gerne über Plastikverpackungen. Das scheint manchmal verständlich, wenn etwa von Efko „1 frische Zwiebel gehackt“ in Plastik verpackt angeboten wird, oft ist die Sache aber komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.

Verpackung gespart, Ware kaputt

Muss eine einzelne Gurke wirklich in Plastik eingepackt sein? Leider ja, sagt Berkmann: „Wir haben das in Märkten getestet: Wenn wir die Gurken offen liegen lassen und nicht verpacken, müssen wir am Ende des Tages um 15 Prozent mehr Gurken wegwerfen.“ Dabei halten Gurken noch mehr aus als andere Produkte: „Wenn die Kunden Erdbeeren mit einem Behelf rausheben oder rausziehen müssten, wäre die Ware kaputt“, sagt Tanja Dietrich-Hübner von Rewe. Schon davor, beim Transport, sorgen Plastikverpackungen dafür, dass die Ware unbeschadet am Zielort ankommt – in Plastikbehältern geschlichtete Weintrauben verbrauchen auch viel weniger Platz, als wenn sie lose transportiert würden. Zudem werden nicht verpackte Lebensmittel auch grundsätzlich schneller schlecht.

Ein Weniger an Verpackungen könnte also ein Mehr an weggeworfenen Lebensmitteln bedeuten. Und die CO2-Bilanz einer Tonne weggeworfener Plastikverpackungen ist weit besser als die einer Tonne weggeworfener Lebensmittel. Wie beim Plastiksackerl gilt auch bei Plastikverpackungen: Sie einfach nur loswerden zu wollen, hat zumindest das Potenzial, alles noch schlimmer zu machen.

Wie bio ist Bioplastik?

Andererseits: „Die Alternative zu einem unökologisch verpackten Joghurt ist ja nicht das unverpackte Joghurt, sondern das anders verpackte Joghurt“, sagt Nunu Kaller von Greenpeace. Aber was ist die richtige Alternative? Bio-Plastik ist eines der großen Schlagworte der Debatte, obwohl darunter sehr verschiedene Produkte verstanden werden. Bio-Kunststoffe lassen sich in drei Gruppen einteilen: bio-basiert, aber nicht biologisch abbaubar, sowie nicht-bio-basiert, aber biologisch abbaubar, und letztlich bio-basiert und biologisch abbaubar – das, was sich wohl die meisten Konsumenten unter Bio-Plastik vorstellen. Aber fast 57 Prozent der vergleichsweise noch überschaubaren 2,11 Millionen Tonnen Bio-Plastik, die im Vorjahr weltweit produziert wurden, sind nicht biologisch abbaubar. Auch bei Bio-Plastik gilt leider: Es ist kompliziert. „Von gut bis schlecht bis richtig schlecht gibt es da alles“, sagt Nunu Kaller.

Armin Amirpanahs Grazer Firma Weforyou ist eine derer, die von Greenpeace als gut eingestuft werden. Sie setzt auf PLA oder Polyactide, der Stoff vereint die beiden positiven Eigenschaften von Bio-Plastik: Es wird aus Zuckerrohr gewonnen, und es lässt sich kompostieren. Zudem sei es ressourcenschonend in der Herstellung, sagt Amirpanah: Aus 1,2 Kilogramm Zuckerrohr ließe sich ein Kilo PLA herstellen, bei Konkurrenzprodukten wäre das Verhältnis Rohstoff zu Endprodukt 3:1.

CO2-basiertes Plastik

Trotzdem halten nicht alle PLA für perfekt: Kompostierbar ist es zum Beispiel nur unter industriellen Bedingungen. „Wenn Sie das im Blumenkistl vergraben, passiert gar nichts“, sagt ARA-Vorstand Scharff. Recycelt wird es aktuell auch nicht, weil dafür das Marktvolumen noch zu klein ist – es zahlt sich schlicht nicht aus, dafür eigene Anlagen zu bauen. Und: Es ist derzeit noch fast doppelt so teuer wie reguläre Kunststoffe.

Scharff sieht Bio-Kunststoffe insgesamt ambivalent, er glaubt, dass „das größte Potenzial in einer CO2-basierten Lösung liegen wird. Alle großen Kunststoffhersteller arbeiten an dem Thema, und keiner redet drüber.“ Dieses Plastik wäre klimaneutral und damit auch ein Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. „Das wäre eine industrielle Revolution, ein echter Gamechanger“, sagt Scharff – allerdings glaubt er, dass dieser Technologiesprung noch 15 bis 20 Jahre entfernt ist. Aber egal wie sie hergestellt werden, zumindest darin sind sich alle einig: Kunststoffe werden auch in Zukunft integraler Bestandteil unseres Alltags sein.

Wo Plastik unvermeidbar ist

Denn der Grund, warum solche aberwitzigen Massen an Plastik produziert werden, ist simpel: Es ist ein sehr vielseitiges Material. Leicht, billig zu erzeugen, nahezu beliebig formbar. Hätte man all das 2009 erzeugte Plastik durch andere Materialen ersetzt, sie wären 3,7-mal so schwer gewesen – und die Produktion hätte um 50 Prozent mehr Treibhausgase ausgestoßen, besagt eine (allerdings von der Plastiklobby in Auftrag gegebene) Studie. „Die Hierarchie der Materialien ist abgeschafft: Ein einziges ersetzt alle“, schrieb der Philosoph Roland Barthes bereits 1957.

Nehmen wir etwa den Monobloc, das ist der klassische Plastik-Gartenstuhl, auf dem jeder schon einmal gesessen ist; von Angela Merkel bis zum ehemaligen libyschen Diktator Muammar Gaddafi. Er kostet rund drei Dollar in der Produktion und wurde seit seiner Einführung in den Siebzigern rund eine Milliarde Mal verkauft. Nicht, weil er so schön ist, sondern weil er praktisch, federleicht, wetterfest und billig ist. Die FAZ nannte ihn den meistgehassten Stuhl der Welt, die Autorin Susan Freinkel erhob ihn in ihrer Plastik-Biografie „Plastic. A Toxic Love Story“ zum „Thron des kleinen Mannes“; und ein bisschen haben wahrscheinlich beide recht.

Zwischen Panik und Wurschtigkeit

Die vieldiskutierten Verpackungen sind zwar der größte Brocken, aber trotzdem nur etwas mehr als ein Drittel der Million Tonnen Plastik, die in Österreich jedes Jahr auf den Markt kommt. Die Diskussion fokussiert sich auf die Verpackungen, weil sie sogenannte Schnelldreher sind: wenige Stunden bis Tage in Gebrauch und danach schon wieder Müll. Die anderen großen Bereiche sind die Baubranche und die Autoindustrie, wo es noch viel schwieriger ist, Plastik zu vermeiden – Ummantelungen für Kabel etwa sind unersetzbar. Auch im medizinischen Bereich hat sich Plastik von seiner besten Seite gezeigt: „Denken Sie an Infusionen, denken Sie an Implantate, da werden wir Kunststoffe benötigen“, sagt Hans-Peter Hutter, stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin.

Trotzdem warnt er davor, Plastik zu verharmlosen, auch aus medizinischen Gründen: Von PVC ist mittlerweile bekannt, dass es krebserregend ist – trotzdem war jahrzehntelang auch Kinderspielzeug aus dem Kunststoff. PTFE, besser bekannt als Teflon, könnte das Geburtsgewicht von Babys negativ beeinflussen, das legt zumindest eine US-amerikanische Studie aus dem Vorjahr nahe. Panik sei zwar unbegründet, aber ignorieren dürfe man die gesundheitlichen Auswirkungen auch nicht. „Man darf das nicht schwarz-weiß sehen“, sagt Hutter. „Die einen sagen, auf meinen Kunststoff lass’ ich mir nichts kommen, und die anderen fürchten sich schon, dass sie krank werden, wenn sie aus einer Plastikflasche trinken.“

Unterschätzte Gefahr Mikroplastik

Aber viel zu oft ist einfach nicht klar, ob ein Kunststoff oder die Chemikalien, die ihm zugesetzt werden, gesundheitsschädlich sind. „Es gibt Unmengen solcher Chemikalien, und zu den meisten gibt es keine humanmedizinisch relevanten Daten – ob das Weichmacher, Flammschutzmittel, Stabilisatoren sind oder sonst etwas“, sagt Hutter. Dasselbe gilt für Mikroplastik: Vielleicht ist es im Körper unbedenklich, vielleicht auch nicht. Die mögliche Gefahr durch Plastik ist weder der Strohhalm noch das Sackerl, sie ist unsichtbar und weitgehend unerforscht.

2.000 Partikel Mikroplastik soll eine Person im Jahr alleine über Speisesalz aufnehmen, insgesamt sollen es gar 32.000 Partikel Mikroplastik pro Person und Jahr sein. Im Vorjahr wiesen österreichische Wissenschaftler Mikroplastik im Stuhl nach, bereits 1972 wurden Plastikrückstände im Blut von Probanden festgestellt, was die Washington Post damals noch recht lapidar kommentierte: „Humans are just a little plastic now.“

Und das Problem dabei ist: Während der Plastikmüll – jedenfalls in Österreich – gut entsorgt wird und teilweise sicher zu vermeiden ist, gilt das für Mikroplastik nicht. Einen großen Anteil davon macht Reifenabrieb aus: „Die Leute sehen eine Zahnpasta und sagen, uh, Mikroplastik, und dann steigen sie ins Auto und produzieren mit dem Reifenabrieb mehr Mikroplastik, als in der Zahnpasta drin war“, sagt Nunu Kaller. Dazu kommt: Die Entstehung von Mikroplastik ist bislang tatsächlich alternativenlos, und das bereitet auch ARA-Vorstand Christoph Scharff große Sorgen. Er habe das Thema selbst lange unterschätzt: „Da habe ich in den letzten beiden Jahren meine Meinung geändert. Und da habe ich nicht nur keine Lösung, ich kann sie nicht einmal erahnen. Das ist ein Problem der Industriestaaten, das ist unser Thema. Was macht man gegen Reifenabrieb? Mikroplastik geht direkt in die Nahrungskette. Das schockiert mich wirklich.“ 


Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht unter https://www.addendum.org/plastik/besser-als-sein-ruf/

 



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