Das Geschäft mit der Inklusion

In Duisburg herrscht rege Aufregung, weil die Geschäftsführerin einer Behindertenwerkstatt jährlich über 350.000 Euro verdient und der Aufsichtsrat offenbar nicht eingeweiht war. Darüber berichtete neulich die WAZ. Das passt so gar nicht zu einer „sozialen Einrichtung“ deren Aufgabe es ist, Menschen mit Behinderung zu helfen, oder? Kaum jemand hat Einblicke in diese kleine Welt.

Bundesweit arbeiten fast 300.000 Menschen mit Behinderung in einer solchen Einrichtung, die man heutzutage korrekterweise Werkstätten für behinderte Menschen nennen sollte. Und Behinderte sagt man auch nicht mehr, sondern „Menschen mit Behinderung“. So fordert es die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Ich war viele Jahre in unterschiedlichen Positionen solcher „Werkstätten“ tätig, kenne die Arbeit an der Basis und in den höheren Etagen, wo es um Konzepte und nebenbei um ganz viel Kaffee geht. Eine Journalistin vom DLF führte vor ein paar Jahren ein Interview mit mir. Sie selbst sei Mutter eines autistischen Sohnes, der allerdings nicht in einer solchen Werkstatt arbeite, sagte sie damals. Die meisten seiner Freunde allerdings schon und es wunderte sie, dass sie viel weniger verdienen würden, obwohl sie zum Teil schwer arbeiteten. Von dem Gesetz zum Mindestlohn profitieren diese Beschäftigten, wie man die Rehabilitanten gerne nennt, nicht. Sie haben einen arbeitnehmerähnlichen Status, was immer das auch heißen soll. Deshalb gibt auch keinen richtigen Lohn, sondern ein Entgelt. Dieses ist im Sozialgesetzbuch festgelegt. Nach Paragraph 107 lag der Grundbetrag zurzeit der Einführung des Mindestlohns bei 75 € monatlich zuzüglich 26 € Arbeitsförderungsgeld – macht zusammen einen Mindestlohn, pardon Mindestentgelt von 101 € monatlich.  101 €, das sind bei durchschnittlich 21 Arbeitstagen nicht ganz 4,81 € am Tag gegenüber 8,50 € die Stunde – weiter muss man das nicht wirklich herunterrechnen.

Für das besagte Deutschlandfunk-Dossier „Etikettenschwindel? Die heile Welt der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen“  wurde der Autorin Dorothea Brummerloh gar der Inklusionspreis des Sozialverbandes Deutschland/Niedersachsen durch die niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt überreicht.

Hier eine Passage aus dem Dossier, der Mitschnitt ist leider nicht mehr verfügbar:

 […] Der medienwirksam eingeführte Mindestlohn gilt eben nur für den ersten Arbeitsmarkt, sagt Wolfgang van de Rydt.

Der Gesetzgeber unterscheidet hier tatsächlich, von wem die Arbeit geleistet wird. Wenn sie von jemanden geleistet wird, der nicht behindert ist, dann ist sie mindestens 8,50 € wert. Dieselbe Arbeit von einem Behinderten ist keine 8,50 € wert und das ist etwas, was ich ethisch fragwürdig oder eigentlich gar nicht für vertretbar halte. Wir dürfen da nicht auf der einen Seite von Inklusion, Integration und diesem ganzen Pipapo reden und den Menschen aber dann diesen Mindestlohnvorenthalten. […]

Das große Geschäft machen die Betreiber dieser Einrichtungen, das sind entweder kirchliche Träger, wie Caritas und Diakonie oder eben auch die Lebenshilfe. Meist handelt es sich um „Gemeinnützige GmbHs“ deren Gesellschafter dann auch oft die jeweilige Stadt ist. Den Vorstandsvorsitzenden dient der Job nicht selten als Sprungbrett für eine spätere politische Karriere. So wurde der Mainzer Michael Ebling nach seinem Engagement für die „WfB“ Oberbürgermeister. Zur alljährlichen Karnevalssitzung ließ sich der damalige Ministerpräsident Kurt Beck nie die Chance für einen werbewirksamen Auftritt nehmen, denn anschließende wohlwollend formulierte Zeitungsberichte waren stets die Folge.

Lesen Sie mal, was der Sozialdezernent der Stadt Mainz auf eine Anfrage der CDU zu Misshandlungsfällen in der dortigen WFB antwortete:

In der Mainzer Allgemeinen Zeitung (AZ) war am 20. September 2011 zu lesen, dass sich zur Zeit zwei ehemalige Gruppenleiter der Mainzer Werkstätten für Behinderte (WfB) vor dem Amtsgericht wegen Misshandlung Schutzbefohlener verantworten müssen. Laut Artikel wird den beiden Angeklagten vorgeworfen, behinderte Mitarbeiter schikaniert, verbal beleidigt und mit einer Reitgerte geschlagen zu haben. Die Vorfälle kamen ans Licht, weil ein Sozialarbeiter der Einrichtung Anzeige erstattet hat. In der AZ wird er folgendermaßen zitiert: „Ich hatte das Gefühl, man wollte das alles bei der WfB nicht so an die große Glocke hängen.“

Hier die Antwort: Der damalige Geschäftsführer […] hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorkommnisse bei der WFB und Zusammentragen der Fakten am 20.05.2011 den Unterzeichnenden als Vorsitzenden des Aufsichtsrates informiert. Mit Herrn Merkator wurden alle weiteren Schritte, insbesondere die erfolgten arbeitsrechtlichen Maßnahmen, abgestimmt; es erfolgte diesbezüglich ein permanenter Austausch. Quelle

Bei dem fälschlicherweise als „Sozialarbeiter“ bezeichneten Angestellten handelte es sich um mich und natürlich stimmt an dieser Erklärung so einiges nicht, wer hätte es anders erwartet? Aber es ist müßig, darauf weiter einzugehen. Der Fisch stinkt vom Kopf her und damit meine ich das gesamte System.

Von Vorteil ist das Geschäft mit der angeblichen Inklusion auch für lokale Arbeitgeber. Wenn sie mit den Einrichtungen kooperieren und für volle Auftragsbücher sorgen, sparen sie sich die sogenannte Ausgleichsabgabe für den Fall, dass sie die Behindertenquote unter den Beschäftigten nicht einhalten. Ebenso sparen sie an Lagerkosten, wenn beispielsweise die üblichen Verpackungsarbeiten ausgelagert werden.

Und noch etwas wird gerne der Öffentlichkeit verschwiegen. In einer sogenannten WFB arbeiten gar nicht alle Behinderten. Es ist nur ein Teil von ihnen, der wirklich viel leistet oder leisten kann. Die Gehälter der „richtigen“ Angestellten, also des Personals, richten sich nach den Belegzahlen und werden in der Regel von den überörtlichen Sozialhilfeträgern finanziert, in der Regel sind das die Landschaftsverbände. Sinkt die Anzahl der Betreuten, werden Planstellen gestrichen. Aufgrund dieser Tatsache und des meist geltenden Aufnahmezwangs, sind in diesen Einrichtungen viele behinderte Menschen zu finden, die in einer anderen Umgebung besser aufgehoben wären. Doch zur klassischen Behindertenwerkstatt gibt es kaum Alternativen, obwohl doch überall lauthals „Inklusion“ gefordert wird. So werden viele Schwerstmehrfachbehinderte tagsüber in meist gesonderten Bereichen dieser „Werkstätten“ betreut und aufwändig gepflegt. Trotzdem bekommen sie das „Entgelt“ ausgezahlt, welches nicht von den Sozialhilfeträgern stammt, sondern von den Behinderten selbst erwirtschaftet werden muss – so sieht es das Gesetz vor. Es stammt aus den Einnahmen der oft sehr knapp kalkulierten Aufträge, die meist die lokalen Unternehmen an die Werkstätten vergeben. In manchen Werkstätten sitzen die Behinderten oft wochenlang herum, weil es gar keine „Aufträge“ gibt. Seitens der Betreiber werden diese Zustände, man ahnt es bereits, als Einzelfall beschrieben oder ganz bestritten. Ich habe zahlreiche WfBs im Rahmen meiner früheren Tätigkeit besucht und kann nur dazu sagen, dies deckt sich nicht mit meiner Erfahrung. Für das Personal sind solche Zeiten oft der reinste Horror, da die behinderten Mitarbeiter dennoch irgendwie beschäftigt werden müssen. Und ja, dann gibt es noch die „Bildungsangebote“, Qualifizierungsbausteine und sonstiges Ringelpiez mit Anfassen. Vieles davon ist sinnvoll, besonders, wenn die behinderten Menschen in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden. Das aber könnte bewirken, dass so mancher Leistungsträger die Einrichtung verlässt, was wiederum der Sicherung der Planstellen entgegensteht, wenn solche Angebote zu erfolgreich sind. So bleibt es bei dem Märchen von der angeblichen Inklusion, das anders als richtige Märchen, nicht mal einen wahren Kern enthält. Es ist ein Geschäftsmodell, nichts weiter.



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