Ein Kahrs macht noch keinen Sommer, vor allem da diese traurige Figur nicht mal als Statist bei der GroKo gefragt war, sondern nur als Füllmaterial diente, das vergeblich versuchte, sich am Rednerpult mit Ausfälligkeiten zu profilieren. Nun ist der Genosse weg und auch in seiner eigenen Partei weint ihm kaum jemand eine Träne nach.
Dass der Rücktritt wirklich mit den „Enthüllungen“ durch den Scherzanruf von Youtuber Klemens Kilic zusammenhängt, scheint nahe liegend, es muss aber nicht unbedingt so sein.
Da hat also jemand die mutmaßlich nicht öffentliche Telefonnummer des Abgeordneten in die Finger bekommen und entlockt der Zielperson mit einer Enkeltrickvariante eine dürftige Aussage, die dann im Internet landet.
Ob in der Causa Kahrs ein hohes öffentliches Interesse vorgelegen hat müssen Juristen entscheiden. Der heimliche Mitschnitt des vertraulich gesprochenen Wortes, ob mit oder ohne Vortäuschung einer falschen Identität, kann jedenfalls mit Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft werden.
§ 201 Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt
1.das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder
2.eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt
1.das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder
2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt.
Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2).
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden. (Quelle: Gesetze im Internet)
Aber um den Straftatbestand geht es mir nicht, auch nicht die Wahl der Mittel zur Informationsgewinnung. Der heimliche Mitschnitt eines Telefongespräches ist alles andere, als ein Pappenstiel. Selbiges gilt für Aufnahmen mit versteckter Kamera, wie sie die schlussendlich bei RTL gelandete „Reporterlegende“ Wallraff hoffähig gemacht hat. Liegt ein hohes öffentliches Interesse vor, wie etwa bei Korruptionsverdacht, können sich Journalisten auf die Rundfunkfreiheit berufen und haben damit oft genug vor Gericht recht bekommen. Geht es um die Veröffentlichung, dann müssen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen berücksichtigt werden und ob diese im Verhältnis zur Brisanz des Materials und dem öffentlichen Interesse daran an die zweite Stelle gerückt werden dürfen.
Was in der Causa Strache für Empörung sorgte – und das mit Recht – muss auch in anderen Fällen als Maßstab gelten. Kahrs ist Mandatsträger, aber sicher kein politisches Schwergewicht. Die von Kilic geäußerten Verdächtigungen gegenüber Kahrs beruhen auf Zeitungsberichten und eigenen Recherchen. Einen Beweis allerdings hat er nicht dafür, dass die erwähnte Examensarbeit von einem anderen geschrieben worden ist. Auch der Telefonanruf gibt das nicht her, wie Kilic selber einräumt. Nun aber könnten sich „investigative Journalisten“ endlich an die Arbeit machen, so der Youtuber weiter in dem Video, um endlich den Beweis zu erbringen und die Handschrift von Kahrs mit der aus der Examensarbeit vergleichen. Warum will er den angefangenen Job denn nicht selbst zu Ende bringen und wirklich verdiente Lorbeeren einheimsen? Sind die Mainstreamjournalisten dann doch die bessere Wahl?
Und dann geht es nicht nur um die Examensarbeit, sondern Anschuldigungen der Pädophilie. Als Homosexueller eine Vorliebe für besonders junge Männer zu haben oder gar pädophile Neigungen zu besitzen, bedeutet zunächst einmal keinen Straftatbestand, sondern erst wenn „Pädophilie“ ausgelebt wird oder Geschlechtsverkehr mit volljährigen Partnern durch Gewalt, Erpressung oder Nötigung zustande gekommen ist. So etwas wie eine Besetzungscouch oder ein merkwürdiges Beziehungsgeflecht um Mandatsträger herum, auch aus dem non-sexual-Bereich, wie die Beraterarmee der Ursula von der Leyen, lassen sich ohne stichhaltige Beweise nur schwer umschreiben, doch was vor Gericht gelten sollte, muss vor allem Maßstab freier Journalisten sein – die Unschuldsvermutung.
Und worum geht es noch bei journalistischer Arbeit? Hintergründe, Tatsachen, Aufklärung, auch bekannt als Wahrheit. Das klingt voller Pathos, es fehlt nur noch ein „so wahr mir Gott helfe.“ Vielleicht beschränken wir uns darauf, was Journalismus nicht ist: Ein Telefonscherz, der darauf abzielt, politische Gegner zu erledigen. „Freuen Sie sich schon auf ihren politischen Ruhestand, Herr Kahrs.“
Unter anderen Vorzeichen passt der Mitschnitt bestens zu RTL2, Pro7, heute-show und sonstigen „Qualitätsformaten“, wie „Team Wallraff“ wo sensationelle Enthüllungen über missachtete Hygienestandards bei Fast-Food-Ketten als zweites Watergate präsentiert werden. Ist es die Schadenfreude über den Abgang eines ganz und gar unsympathischen Mandatsträgers wert, sich auf dieses Niveau herab zu lassen? Den eigenen Charakter lernt man am besten im Umgang mit seinen Gegnern kennen. Damit meine ich nicht, dass Herr Kilic einen schlechten Charakter hat oder haben könnte, das kann ich gar nicht beurteilen, ich rede von mir. Zu Freunden und seinen Lieben nett, aufmerksam, verständig und mitfühlend zu sein, ist manchmal schon schwer genug. Sympathie und Liebe helfen dabei, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, wenn man ihn mal verlassen hat. Was Typen wie Herrn Kahrs anbelangt, ist man ganz alleine auf sich gestellt. Und da will bei mir keine so rechte Freude aufkommen, dass es doch immerhin den Richtigen getroffen habe. Mit der gleichen Argumentation verteidigten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer von der Süddeutschen Zeitung ihre Attacke gegen HC Strache und schrieben darüber sogar noch ein Buch.