Nicht gehaltene Totenreden auf Vorrat

grayscale photo of car with flowers

Segnet eine gewichtige Person das Zeitliche, entschwindet quasi ohne Vorwarnung in die ewigen Jagdgründe, so wundern wir uns, dass ein umfassender Nachruf bereits eine Stunde später zu lesen ist. Hyperaktivität der Schreiber ist es beileibe nicht, die dieses Kunststück zeitigt. Nachrufe „auf Vorrat“, Fakenews-geprüft, liegen bereits tausendfach in den Schubladen.

Arbeitszeugnis des Lebens

Die Verblichenen, so die landläufige Meinung, bekommen von alledem ja nichts mehr mit. Anderslautende Ansichten sagen das Gegenteil. Möglicherweise schweben sie in einer Wolke über uns, sehen und hören noch alles, weshalb dem übel nachredenden später bei der Kollision zweier Wolken unter Umständen die postmortale Rache träfe. „De mortuis nil (=nihil) nisi bene“, über Tote solle man nichts Schlechtes sagen, empfahlen sich die Römer. Daraus folgt für uns, die wir am Grabe stehen und die Grabrede so formulieren, wie es einem wohlmeinenden Arbeitszeugnis entspräche. Hat er sich nicht immer redlich um gute Arbeitsleistungen bemüht? Möglicherweise, wir wissen es nicht, verhülfen doch unsere Lobpreisungen gegebenenfalls zu einem angenehmeren Logensessel auf einer silberglänzenden Wolke.

Von unten wollen wir hier erst gar nicht reden, da unbekannt bleibt, wie sich das Einfuhrembargo dort auswirkt. Gingen dort ebenfalls Öl, Gas und Kohle aus, was bliebe noch übrig von den Flammen der Hölle? Machen wir also denen an den Schalthebeln der Macht, solange sie noch unter uns weilen, Feuer unter dem Hintern.

Zeigt Euren Zorn zeitlebens,
an den Gräbern ist er vergebens.

Meistersinger von Nürnberg

Folgen wir deshalb den rühmenden Worten Richard Wagners in seinem Werk „Die Meistersinger von Nürnberg“, in welchem es heißt: “Das nenn‘ ich mir ein Abgesang!“ Was liegt folglich näher, als ausschließlich lobende Worte und diese nur in höchsten Tönen zu singen. Nicht nur würde damit der Verblichene, ob verdient oder unverdient geehrt, nein auch der Verfasser des Abgesangs hübe sich selbst in „lichte Höhn‘, die kein irdischer geschaut“. Wenn schon der Dahingegangene zu abschließenden Worten selbst nicht mehr in der Lage ist, übernehmen Autoren posthum diese ehrenvolle Aufgabe, bei entsprechender Bezahlung auch zwangsweise.

Todesumstände

Die Auswahl an Schicksalen, an denen wir Menschen zugrunde gehen, ist höchst vielfältig. Dabei unterscheiden wir, ob wir das Hinwegscheiden selbst verschuldeten oder aber ob andere mit Impfungen nachhalfen. Oftmals wird die Ungeheuerlichkeit, das wohl eingerichtete Leben verlassen zu haben, spöttisch begleitet. Darauf deutet ein Vierzeiler aus dem Elsass hin:

Ist ein Junger schon betroffen,
sagt man, er habe sich tot gesoffen,

stirbt einer von den Alten,
sagt man, die Reben hätten ihn erhalten.

Zeitgeschichtlich könnte hinzugefügt werden:

War der „Piecks“ auch noch so klein,
er könnte doch Dein Ende sein.

Den Lebenden zur Mahnung gilt mithin, frühzeitig und selbst an die zu erhoffende Grabesrede zu denken und alle Taten zu vermeiden, welche die Trauergäste im Geringsten erheitern oder erschüttern könnten. Auch das verfluchen und das bedauern des im Sarg liegenden ist zu unterlassen, selbst wenn tausend Gründe Anlass dafür böten. Es hülfe ja nichts mehr.

Er hat es ja nur gut gemeint.

Die Wohltaten, die uns Vater Staat bereithält, von (fast) pestizidfreien Lebensmitteln, von wissenschaftlich in Jahren (oder nicht) erprobten Spritzmitteln und mit vom TÜV-geprüften Autos wiegen uns in Scheinsicherheit. Allesamt sind wir eingebettet in eine angebliche Oase obrigkeitlicher Fürsorge. Und doch erleben wir am eigenen Leibe, dass diese Illusion uns benebelt und uns vom rechtzeitigen Widerspruch abhält. Die Aufgabe eines Sündenbocks, dem wir all das aufbürden, was selbst nicht zu äußern wagen, überlassen wir jenen mit dickem Fell auf der falschen Seite des Parlaments.

Womit wir bei der veröffentlichten Meinung angekommen wären. Hat diese womöglich das Ableben des plötzlich und unerwartet Verstorbenen maßgeblich gefördert? Es wird dennoch gesellschaftlich erwartet, dass die Tradition des lobenden Nachrufs fortgesetzt werden solle. Die Toten am Wegesrand, die ihm oder ihr zum Opfer fielen, werden ausgeblendet. Die Neugeborenen in den Brutkästen, die mangels elektrischen Stroms deren junges Leben lassen werden, die Patienten an den Beatmungsgeräten, die Nierenkranken an den Dialysegeräten und, und, und.

Die Millionen, die in deren kalt gewordenen Wohnungen frierend erkranken und sich wegen Energiemangel kein warmes Süppchen mehr kochen konnten, werden zu Kollateralschäden kruder Ideologien. Er hat es ja nur gut gemeint, als er ideologische Verwirrtheiten über das Wohl der Untertanen stellte, wird es heißen.

Die Tinte trocknet voll Trauer beim Schreiben.

Es nimmt daher nicht wunder, dass die Grabesreden für jene, die am Untergang ihres Volkes Schuld tragen, sehr problematisch zu formulieren sein werden. Und doch zeigt uns auch die Geschichte, dass selbst Massenmörder je nach Land in unterschiedlichem Maße zu Lebzeiten und auch posthum Ehrung erfahren. Das Volk ist zu schwach, um ihre Totengräber rechtzeitig zum Teufel zu jagen. Die medialen Lobgesänge der Gegenwart transzendieren weiter.

Der Autor macht dabei nicht mit!

.



Teilen Sie diesen Beitrag

Wende 2024 jetzt bei Telegram beitreten und mitreden:

2 Kommentare

  1. “Machen wir also denen an den Schalthebeln der Macht, solange sie noch unter uns weilen, Feuer unter dem Hintern.”
    Diese Redewendung mag ich nicht, meide ich. Seit mir die Herkunft zu Bewusstsein gekommen ist, bei der Beschäftigung mit der Geschichte des heiligen Laurentius. — Die Laternenmasten der Französischen Revolution erscheinen dagegen als geradezu humane Lösung.

Kommentare sind geschlossen.