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Kein Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Predigt im Islamischen Zentrum Kaiserslautern

In der nachfolgenden Presseerklärung führt die Staatsanwaltschaft aus, warum nicht wegen einer vielfach kritisierten Predigt im Islamischen Zentrum Kaiserlautern wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt wird. Weiter behauptet die Staatsanwaltschaft, das Video sei nicht mehr im Netz verfügbar. Das entspricht nicht den Tatsachen. Hier ein Screenshot von dem Video, über den Link darunter finden Sie die vollständige Übersetzung:

Quelle: Mena-Watch 

Presserklärung

Anfang Juni wurde eine Passage aus einem Video des Islamischen Zentrums in Kaiserslautern bekannt, in der “die Juden” als geldgierig und arrogant bezeichnet worden sein sollen. Bekannt wurde die Passage durch eine englischsprachige Veröffentlichung auf der Internetseite des “Middle East Media Research Institute” am 29.05.2019. Bei dem “Middle East Media Research Institute” handelt es sich nach eigenen Angaben um eine unabhängige, unparteiische und nicht gewinnorientierte Organisation mit Hauptsitz in Washington, DC, die es sich zum Ziel gesetzt hat, für die politische Diskussion Informationen aus den Medien des Nahen Ostens unter anderem in englischer Sprache bereit zu stellen. Diese Veröffentlichung wurde durch eine Bloggerin weiterverbreitet. Die hiesige Presse berichtete darüber.

Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat geprüft, ob ein Verfahren wegen Volksverhetzung einzuleiten ist. Die Feststellung des Gegenstands dieser Prüfung, nämlich des Inhalts der fraglichen Äußerungen, war ohne Kenntnisnahme ihres Kontexts, also des vollständigen Videos, nicht möglich. Das Video liegt der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern vor. Im Internet ist das vollständige Video nach unserer Kenntnis nicht mehr verfügbar. Es hat eine Länge von etwas mehr als einer Stunde, ist in arabischer Sprache und befasst sich mit der Auslegung des Korans. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft zwei Islamwissenschaftler als Sachverständige und eine vereidigte Dolmetscherin für die arabische Sprache hinzugezogen.

Nach dem Ergebnis der Prüfung liegen keine zureichenden Anhaltspunkte für eine Volksverhetzung vor. Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern führt deshalb kein Ermittlungsverfahren durch.

Zum Inhalt der fraglichen Äußerungen:

Das Video zeigt ein Koranseminar, also eine theologische Veranstaltung. Die Qualifizierung als geldgierig und arrogant bezieht sich zunächst auf das historische Volk der Juden im Zusammenhang mit der biblischen und im Koran aufgenommenen allgemein bekannten Erzählung vom Tanz um das goldene Kalb. Ein Gegenwartsbezug wird hergestellt über einen Fluch Gottes, der die Juden bis heute mit diesen Eigenschaften geschlagen habe. Weitere Ausführungen zu Konsequenzen für die Gegenwart finden sich in dem Video nicht.

Nach dem religiösen Hintergrund werden dabei “die Juden” durch die (durch Konversion veränderbare) Religionszugehörigkeit definiert, nicht durch die Abstammung.

An einer anderen Stelle wird “den Juden” vorgeworfen, sie hätten (zu koranischen Zeiten) Zwietracht unter den Muslimen gesät, was bis heute noch wirke. Hier ist der Gegenwartsbezug des Vorwurfs, also ein Vorwurf an die heutigen Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit, nicht eindeutig. Es kann auch gemeint sein, dass die damaligen Ereignisse bis heute Wirkungen zeigen.

Der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 des Strafgesetzbuchs) lautet in seinem hier relevanten Teil wie folgt:

“Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.”

Bei der Auslegung des § 130 des Strafgesetzbuchs ist die verfassungsrechtliche Garantie der Meinungsfreiheit zu beachten.

So kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – eine Strafbarkeit an Meinungsäußerungen dann anknüpfen, wenn diese über die Überzeugungsbildung hinaus auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzen von Hemmschwellen rechtsgutsgefährdende Wirkungen unmittelbar auslösen können. Gefahren, die lediglich von den Meinungen als solchen ausgehen, sind hingegen zu abstrakt, als dass sie dazu berechtigten, diese staatlicherseits zu untersagen.

Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern, beraten durch Islamwissenschaftler und eine Dolmetscherin, kam nach allem zu dem folgenden Schluss. Die fragliche Rede verlässt den Rahmen einer theologischen Auseinandersetzung anhand einer koranischen Erzählung nicht. Der Gegenwartsbezug an der genannten einen Stelle enthält keinen Appell, als dessen Folge eine konkrete Gefahr festgestellt werden könnte. Zwar bedient die Rede antijüdische Reflexe, und zwar durch eine sprachliche Pauschalisierung der “Juden” und eine einseitige Selektion von Koranstellen, die Negatives über Juden aussagen, zulasten anderer, nämlich versöhnlicher, Passagen, die es im Koran auch gibt. Andererseits muss nach dem theologischen Kontext davon ausgegangen werden, dass mit “den Juden” die Religionszugehörigkeit angesprochen ist, nicht die Abstammung. Die Kritik an “den Juden” kann vor diesem Hintergrund als Beitrag zum religiösen Meinungsstreit verstanden werden, dessen Schärfe durch Polemik und durch den monotheistischen Wahrheitsanspruch entsteht.

Für eine weitergehende negative Deutung der Äußerung gibt es in der fraglichen Rede keine eindeutigen objektiven Belege. Mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wäre es nicht vereinbar, wenn Meinungsäußerungen mit dem Risiko verbunden wären, wegen einer nachfolgenden Deutung einer Äußerung durch die Strafgerichte verurteilt zu werden, die dem objektiven Sinn dieser Äußerung nicht entspricht (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. November 2002 – 1 BvR 232/97 -).

Dr. Gehring Staatsanwaltschaft Kaiserslautern



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