Der Aufstand der Oligarchen wird ausbleiben

Bereits Iwan der Schreckliche ließ am liebsten Bojaren auf öffentlichen Plätzen zur Volksbelustigung auspeitschen. Das festigte das Vertrauen in und die Liebe des Volks zu Väterchen Zar. So eine feudale Ständepyramide wie in Europa gabs in Rußland nur solange, wie die Beamten der Goldenen Horde in Moskau noch keine Anstellung gefunden hatten. Im Lauf der Zeit hatten sich die Moskauer Herrscher – vor allem seit Iwan Kalita – die Herrschaftstechniken der Mongolen abgeschaut. Und diese wiederum hatten viel in China gelernt. Es lief alles auf eine Einmannherrschaft mit zentraler Steuerung hinaus. Adlige und Kaufleute waren nicht mehr als privilegierte Angestellte.

Der zentrale Leitsatz des Zarismus lautete: „Die kleinste Abweichung vom kaiserlichen Willen ist verderblich.“ Ein Exempel dafür war der Bau der Nikolaibahn zwischen St. Petersburg und Moskau. Im Jahr 1842, als Zar Nikolaus I. den Ukas erließ, eine Eisenbahnlinie zwischen den beiden russischen Hauptstädten zu bauen, zog er mit dem Lineal einen geraden Strich auf der Landkarte. In der Nähe des Örtchens Werebje in der Oblast Nowgorod macht die Eisenbahnlinie plötzlich einen Bogen. An dieser Stelle soll der Zar, so die Legende, beim Zeichnen des Planes seinen Finger ein bisschen über das Lineal gucken lassen haben, woraufhin er mit dem Stift eine Kurve in die ansonsten schnurgerade Strecke machte. Die ausführenden Bahner wagten es natürlich nicht, den Befehl des Zaren abzuändern und bauten genau nach Plan den seltsamen Bogen in die Strecke.

Ein weiteres plastisches Beispiel für die Machtverteilung zwischen Zar und Adel war der Ablauf der Gesetzgebung zur Leibeigenenbefreiung im Winter 1859: Der Zar hatte öffentlich versprochen, daß, ehe das Projekt Gesetz werden würde, Abgeordnete von den Gouvernementskomitees nach St. Petersburg eingeladen werden sollten, um Einwände vorzubringen und Verbesserungen vorzuschlagen. Sie wurden zur Hauptstadt zitiert, es wurde ihnen aber nicht gestattet, eine öffentliche Versammlung zur Diskussion der Frage zu veranstalten. Alle ihre Bemühungen, Zusammenkünfte abzuhalten, wurden vereitelt: Man verlangte von ihnen nur, eine Liste von gedruckten Fragen über Detailangelegenheiten schriftlich zu beantworten. Diejenigen, die es wagten, Einzelheiten zu diskutieren, wurden aufgefordert, persönlich den Kommissionssitzungen beizuwohnen, dort grob zusammengefaltet; mehrere Gruppen von Abgeordneten reichten dem Zaren Petitionen ein, die einen Protest dagegen enthielten, wie sie behandelt wurden; sie erhielten einen förmlichen Tadel durch die Polizei. Sie wollten nun in den dreijährlichen Gouvernements-Versammlungen der Adligen protestieren. Ein Zirkular verbot ihnen, die Frage der Befreiung zu berühren. Einige Versammlungen unterbreiteten trotzdem dem Zaren, daß die Zeit auch für andere Reformen gekommen sei. Darauf wurden einige Adelsmarschälle getadelt, andere abgesetzt. Von den Führern wurden zwei in entfernte Gouvernements verbannt, andere unter Polizeiaufsicht gestellt.

Wir brauchen nicht so weit in die Vergangenheit abzutauchen, um das alte Prinzip auch in der Neuzeit zu finden: Als der Oligarch Chodorkowski nicht mehr spurte, wurde er enteignet und festgesetzt. Dabei begann sein Karriere wie so viele andere auch auf dem warmen Ofen der Partei. Folgen wir Wikipedia:

Von 1986 bis 1987 war er stellvertretender Komsomolsekretär des Mendelejew-Instituts. Danach übernahm er die Leitung des Zentrums für wissenschaftlich-technisches Schöpfertum der Jugendstiftung für Jugendinitiative (NTTM), eines Komsomol-Unternehmens. Die Gründung von NTTM war 1987 durch ein Gesetz möglich geworden, das wirtschaftliche Tätigkeit in Form von Genossenschaften zuließ. Chodorkowski importierte damals Computer, Jeans und Brandy aus dem Ausland und exportierte zum Beispiel Matrjoschka-Puppen. 1989 übernahm Chodorkowski den Vorsitz der Kommerziellen Innovationsbank für wissenschaftlich-technischen Fortschritt, die mit dem Ziel gegründet wurde, Geldmittel für NTTM zu beschaffen. Sie war eine der ersten Privatbanken Russlands. 1990 kaufte die Kommerzielle Innovationsbank dem Exekutivkomitee des Moskauer Sowjets die Firma NTTM ab und benannte sie in Menatep-Invest um. Chodorkowski war nun Generaldirektor von Menatep und ab 1991 Vorstandsvorsitzender. 1992 wurde Chodorkowski Mitglied im Beraterstab des russischen Premierministers und im März 1993 Stellvertretender Minister für Brennstoffe und Energie. 1993 bis 1994 war er auch Mitglied des Rats für Industriepolitik bei der russischen Regierung; 1993 beteiligte er sich an der Finanzierung und Organisation des Wahlkampfes für Präsident Jelzin während der Parlamentswahlen am 12. Dezember 1993.

Am 30. März 1995 nahm Chodorkowski an der Kabinettssitzung teil, auf der erstmals das „loans for shares“-Programm vorgeschlagen wurde. Im Rahmen dieses Privatisierungsprogramms wurden in der Folge einige große Erdölunternehmen privatisiert. Die Menatep-Bank konnte bei den Auktionen 1995/1996 45 % der Aktien des Mineralölunternehmens Jukos kaufen.

Die wichtigste Transaktion gelang der Menatep-Bank durch ihre Tochtergesellschaft zur Aktienverwaltung Rosprom im Jahr 1995: Unter Leitung von Platon Lebedew sicherte sich die Rosprom in einer Privatisierungs-Pfandauktion die Aktienmehrheit des vertikal integrierten Ölunternehmens Jukos für 309 Millionen Dollar und damit weit unter dem Marktwert des Unternehmens. Da die Menatep-Bank schon vorher die Hausbank von Jukos war und auch die Auktion selbst durchführte, hatte sie optimale Startbedingungen für den Erwerb der Aktien bzw. Insiderwissen. Einwände unterlegener Bieter blieben unberücksichtigt.

Sämtliche Oligarchen kamen nach so einem Strickmuster durch Vitamin B an ihren umfangreichen Besitz. Und wie gewonnen, so zerronnen, wenn sie nicht spuren.

Von den lächerlichen Witzgestalten, welche gerade die Sanktionen gegen Rußland ausbrüten, glauben einige offensichtlich durch Repression gegen die russischen Industrie- und Wirtschaftskapitäne einen internen Aufstand dieser gegen Wladimir Wladimirowitsch auslösen zu können. Weit gefehlt: Die Oligarchen können jederzeit wie Ameisen zertreten oder wie Fliegen geklatscht werden.

Auch in Deutschland wagt es kein Vorstandsvorsitzender eines Weltunternehmens mehr Kritik an irgendwelchen Maßnahmen zu üben. Bundeskanzler Schröder hörte noch den einen oder anderen an, z.B. auf Ferdinand Piech oder Werner Müller. Seit Dr. M. haben wir russische Verhältnisse.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst:

„Wollt ihr Macht? Der Mächt’ge hat sie.
Wollt ihr Reichtum? Zugegriffen!
Glanz? Behängt euch! Einfluß? Schleicht nur!
Hoffe niemand solche Güter;
Wer sie will, ergreife sie.

(Geh. Rath v. Goethe, 1810)



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2 Kommentare

  1. Den Oligarchen geht es gut, wenn es Russland gut geht. Russland geht es gut, wenn es sich den US-UK-EU-Nato-Komplex möglichst effektiv vom Hals halten kann. Genau das versucht Putin mit seiner Militäraktion, die eine Art Notwehrakt ist, auch wenn viele das offenbar nicht begreifen können, oder wollen.

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