Es war Weihnachten 1966. Die Winterkälte kroch uns in die Glieder, während wir durch den knirschenden, kniehohen Schnee stapften. Ich war zwölf Jahre alt, meine Brüder zehn und acht, und unser Vater, ein Mann, der die Weisheit und Gelassenheit eines erfahrenen Bergbauern ausstrahlte, führte uns zielstrebig in Richtung Wald. Dort, wo für uns Kinder Rotkäppchen und der böse Wolf lebten, erstreckte sich ein märchenhafter, verschneiter Forst.
In diesem tief verschneiten Wald ragten mächtige Tannen, schmale Fichten, majestätische Buchen und knorrige Eichen in den blassgrauen Himmel. Doch unser Ziel war nicht die beeindruckende, altehrwürdige Baumriesenwelt, sondern eine junge, schlanke Fichte. „Jung“ bedeutete in diesem Fall, dass das Bäumchen bereits älter war als ich und mich dennoch um einen halben Meter überragte.
Vater hatte die Axt am Abend zuvor in der warmen Küche sorgfältig geschliffen, bis ihre Klinge so scharf war, dass sie das Holz fast flüsternd durchtrennen würde. Es war eine Kunst, die er mit Stolz ausübte, während wir Kinder ehrfürchtig zuschauten.
Die Wahl des Bäumchens
Zwischen Hunderten von Baumriesen, die 50 bis 100 Jahre alt waren, reckten sich kleine Bäumchen – unscheinbar, fast schüchtern. Doch welches davon durfte gefällt werden? Am Sonntag zuvor hatte Vater beim Frühschoppen den Bauern gefragt, dem der Wald gehörte. Der nickte nur wortlos, ein kurzes, aber bindendes Einverständnis. In unserer Welt galt: Man stiehlt nicht, man fragt.
Vater erklärte uns mit der Geduld eines Lehrers, welche Bäumchen erlaubt waren. Aus den meisten der kleinen Tännchen und Fichtchen würde ohnehin nie ein großer Baum werden. Sie wuchsen zu nah an den mächtigen Riesen und kämpften vergeblich um Licht und Raum. Doch jene, die im richtigen Abstand von mindestens 15 Metern zu einer ausgewachsenen Tanne oder Fichte standen, die hatten eine Zukunft. Diese mussten wir stehen lassen – sie waren die Hoffnungsträger des Waldes.
Wir Kinder durften das künftige Christbäumchen aussuchen. Es sollte in unsere gute Stube passen, deren niedrige Decke im alten Bauernhaus gerade einmal 1,90 Meter hoch war. Die Wahl fiel auf ein schlankes Bäumchen mit dichten Zweigen, das uns wie für Weihnachten gemacht schien.
Der Heimweg und die Krippenszene
Mit vereinten Kräften zogen wir das Bäumchen durch den knirschenden Schnee zurück ins Dorf. Die weiße Spur, die wir hinterließen, schlängelte sich wie ein stiller Adventspfad durch die kalte Winterwelt. Zu Hause angekommen, stellten wir den Baum zunächst in den Stall – zwischen Ochs und Esel, pardon, Kühen und Kälbchen. Die Tiere schnaubten warmen Atem in die kalte Luft, während der Schnee von den Zweigen langsam schmolz und das Bäumchen in der gemütlichen Stallwärme trocknete. Der Duft von Harz, Heu und Tannenholz erfüllte den Stall – eine Szene, die für uns Kinder an die Krippe von Bethlehem erinnerte.
Ein Weihnachten voller Wärme
Das war Weihnachten 1966: einfach, ehrlich und erfüllt von der Vorfreude auf ein Fest, das die Familie zusammenbrachte. Der Baum war mehr als Dekoration – er war ein Symbol für Gemeinschaft, Natur und Tradition. Und während wir ihn später schmückten, wussten wir: Dieses Bäumchen war das Herzstück eines Weihnachtsfestes, das uns lange in Erinnerung bleiben würde.
Kommentare
5 Antworten zu „„Christbaumstehlen“ in Bayern, 1966“
Das waren noch Zeiten, vor allem gab es damals noch RICHTIG SCHNEE zu Weihnachten, der ebenso herrlich wie auch geradezu mythisch unter den Stiefeln knirschte, einer Sinfonie Beethovens nahekommend…
Damals war der christliche Glaube noch fest in der Bevölkerung verankert und wurde entsprechend auch von den Kirchen gepflegt und gehegt.
Ganz im Gegensatz zu heute, wo in einem durch und durch dekadenten, hedonistischen, identitätslosen/-vergessenen und von Kulturfremden gekaperten SHITHOLE, der größte Teil der Bevölkerung sich – samt der Christenverräter von den sog. kath. und ev. Umvolkungskirchen – sich praktisch einen feuchten Kehricht um hergebrachte kulturelle Bräuche und Traditionen schert.
Armes Deutschland, wo bist du gelandet, was ist aus dir geworden ?
ein gottloses shithole eben.
Ist mir irgendwie bekannt,dass ganze toll rüber gebracht.Stimmt fast alles, aber in der Kirche war ich nicht drin….
Toll geschrieben,schöne,ruhige Tage wünsche ich….👍
danke dito
Damals standen die Kirchen allen offen, nicht nur den 2G-Mitläufern.
Unsere Kirchengemeinde hatte eine Partnergemeinde in Kenia, regelmäßig wurde die Kollekte dafür gesammelt. Ebenso regelmäßig war der kenianische Pfarrer bei uns und erzählte, wie die Kollekte, auch die aus dem Kindergottesdienst, eingesetzt wurde. Das Geld kam damals 1:1 an, ohne große Organisationen dazwischen, die 80℅ für ihre Verwaltung abgreifen.
Für uns Kinder waren das Geschichten aus einer anderen Welt, wie Sielmann oder Grzymek, aber in echt und zum Anfassen.
Achja, Tafeln waren unbekannt. Das Sozialsystem funktionierte noch.