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Am Nasenring durch die Manege

Je nachdem auf welcher Stufe der Hierarchie wir stehen, löst der Begriff Führungskraft gänzlich unterschiedliche Emotionen aus. Sind wir die Geführten, werden wir mit oder ohne Nasenring durch die Manege gezogen. Daraus erwächst ein gewisses Unwohlsein. Gegen unseren Willen, gegen unsere Weltauffassung und wider alle Vernunft folgen wir jedoch jener Führungskraft, deren Führungsseil mit einem eisernen Ring in unserer Nase verbunden ist. Ein kleiner, zumal ein ruckartiger Zug genügte, um unserem empfindsamen Näschen höllische Schmerzen zuzufügen.

Selbst einem Kindergartenkind gelingt es mittels Nasenring und Seil, das ihn mit einem 1000 Kilogramm schweren Ochsen verbindet, diesen zu führen. Jemanden an der Nase herumführen leitet sich folglich aus ganz praktischen wie traditionellen Erfahrungen aus Ackerbau und Viehzucht ab.

Ohne Nasenring wäre es selbst einem muskelbepackten und 120 Kilogramm schweren Landmann nicht möglich, ein Rindvieh, mit oder ohne integrierte Milchzapfanlage, dorthin zu lenken, wohin das Nutzvieh aus eigenem Antrieb nicht wollte. Zum Beispiel um einen Pflug zu ziehen oder bei einer Viehauktion aufzutreten. Oder im letzten Abschnitt seines Lebens per Transportfahrzeug dorthin gebracht zu werden, wo aromatische Salamis und saftige Steaks entstehen.

Ein 50 Gramm leichter eiserner Nasenring, an der (fast) empfindsamsten Stelle des Körpers angebracht, gestattet die mühelose Steuerung desselben. Dabei kann völlig unbeachtet bleiben, ob der Führer mit oder ohne besondere intellektuelle Ausprägung ausgestattet ist. Allein mittels dieser archaischer Nasenringtechnologie wächst ihm eine ungeahnte Machtfülle zu. Das in Fell gehüllte Monstrum lässt sich quasi um den kleinen Finger wickeln.

Führungskräfte heißen so, weil diese durch gutes Beispiel oder nachvollziehbare Logik führen. Sie animieren deren Gefolgschaft zum Mitmachen. Anderen Führern gelingt dies nur unter Aufwendung von physischer und psychischer Gewalt. Und die Zahl der für Homo sapiens erdachten Nasenringe ist der von Ochsen um den Faktor tausend überlegen. 

Sportler, deren Potenz per Stoppuhr oder Waage vor aller Augen gemessen wird, dürfen aufs Siegertreppchen. Also ganz fair, meistens eigentlich. Doping ist gar nicht gern gesehen, außer alle täten es. Doch das ist ein anderes Kapitel. Die Verlockungen der Steigerung der Potenz mittels Dopings sind einfach zu groß. Wenige Milligramm genügen, um ein Kraftpaket eine zehntel Sekunde eher ins Ziel zu bringen oder hundert Gramm mehr an Gewicht stemmen zu können.

Eine Lehre aus diesem „Verfahren“ müssen wohl unsere Führungskräfte gezogen haben. Per „Nasenringgesetzen“, welche die Machtausübung sofort erleichtern, werden wir an längeren oder kürzeren Leinen geführt. Und um einen schmerzhaften Ruck in unserem empfindlichen Näschen oder Portemonnaie zu vermeiden, trotteln wir den dümmsten Führern hinterher. Tradition ist eben Tradition.

In dieser Tradition ist der Homo sapiens, der denkende Mensch, dem tumben Tier auch weit überlegen. Er legt sich seinen Nasenring selbst an und befestigt diesen mittels Gummibändern hinter seinen Ohren. Die Empfehlung, „wer Ohren hat, der höre“, (Mt 11,115) scheint vergessen. Wozu das führt, das sehen wir ja.



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