Wie Weltschmerz jeden lähmen kann

„Es liegt was in der Luft“, etwas stimmt nicht. Die Menschen um uns wurden in den letzten zwei Jahren irgendwie anders. Wohin die Fröhlichkeit, das Unbekümmerte? Wir wurden Teil einer betrüblichen Stimmung, die wir nicht mit Händen greifen können und doch bedrückt sie uns. Dieser Gefühlswelt und wie wir aus ihr entkommen, wollen wir uns in diesem Aufsatz ansatzweise versuchen zu nähern.

Erfahrung lähmender Schwere

Der Philosoph Eckart Tolle, mittlerweile in Kanada lebend, beschrieb schon vor zwanzig Jahren eine Reiseerfahrung. Immer, wenn er am Flughafen Frankfurt ankäme, nähme er eine „Schwere“ wahr. Eine kollektive Schwermut. Eine Bedrücktheit, die nur der von außen in diese schwerere Welt eintretende wahrzunehmen in der Lage ist. Erst der Vergleich mit anderen Ländern öffnet uns diesen Blick. Anderseits verspürten selbst wir, bevor der Weltschmerz auch weitere Länder heimsuchte, eine herzerfrischende Fröhlichkeit und Unbekümmertheit der Bewohner südlicher Länder. Die Art, wie die Menschen lachten, sich küssten und umarmten, war und ist uns kühlen Germanen fremd.

In wenigen Minuten frei durchatmen, den Blick in 150 Kilometer die Ferne schweifen lassen, das gelingt zum Beispiel, wenn wir in Garmisch-Partenkirchen in die Seilbahn steigen und in wenigen Minuten auf der Zugspitze landen. Luftkurort hin oder her, wenn der Nebel über dem Tal hängt, sind Berge, Wolken und Sonne fürs Auge unerreichbar. Den Nebel mit der Seilbahn zu durchbrechen, ist leicht. Diese Nebel der Natur, wie auch der Nebel in unserer Gefühlswelt bestimmt unser Denken, unsere Emotionen und unser Handeln. Wir suchen deshalb das Licht am Ende des Tunnels, eine Gewissheit, dass alles endlich besser würde. Unsere Enge des Herzens sucht nach dem Licht, das uns offiziell jedoch nicht verkündet wird. Ganz im Gegenteil werden wir mit dunklen und dunkelsten Informationen regelrecht bombardiert. Wundert es uns dann noch, dass wir bedrückt sind und es nicht verhindern können, dass man dies uns auch ansieht?

Weltschmerz, nach USA exportiert

Das deutsche Wort „weltschmerz“ hat es geschafft, in die englischsprachige Welt Eingang zu finden, genau wie „kindergarten“, „leitmotif“ oder „wanderlust“, jeweils in diesen Schreibweisen. Der amerikanische Autor Chuck Lorre erklärte seinen Landsleuten die Bedeutung von Weltschmerz so:  „Das Leiden in der Welt, das sich aus der Unvermeidlichkeit ergibt, dass die Realität den Erwartungen nicht gerecht wird.“ Oder freier übersetzt: „Ein die gesamte Bevölkerung umfassendes Leiden, das aus der Unvermeidbarkeit unserer Realität herrührt, welche nicht mit unserer Erwartungshaltung übereinstimmt“. 

Wir spüren, wenn wir dieser Erklärung folgen, dass es auch eine „Weltfreude“ geben sollte. Diese gezielt herbeizuführen scheint indes schwieriger zu sein, als das Gegenteil. Kollektiver Frust addiert sich zu Weltschmerz, der gedanklich weitere Ungerechtigkeiten der Welt vorsorglich mit einschließt. Menschliches Bedürfnis ist, bei den meisten zumindest stets das Gute, das Wahre und das Schöne erleben zu wollen. Doch beim Rundumblick erleben wir oft das Gegenteil. Das Böse springt förmlich aus dem Fernsehgerät und vergiftet die Stimmung und unsere Herzen. Und jene Zeitgenossen, welche unfähig sind Freude zu verbreiten, machen sich im Schmerz heimisch und verbreiten diesen mit Inbrunst.

Verkürzt gesagt, beschreibt „Weltschmerz“ ein kollektiv verstärkts Unwohlsein. Umfasst diese nicht nur eine Person, nicht nur eine Gruppe, sondern gefühlt die ganze Welt oder ein Land, so kann von einem gemeinsam verspürten Weltschmerzleid gesprochen werden. Sind alle „schlecht gelaunt“, betrübt, unmotiviert, missmutig, ängstlich, ziellos, grimmig und vom Zweifel befallen, so addieren sich individuellen Stimmungen zu einer Gesamtverstimmtheit, eben diesem Weltschmerz.

Leben ohne Weltschmerzerfahrung

Schmerzen, körperliche wie seelische, sind nie schön, doch man gewöhnt sich oft daran. Verursacht beispielsweise eine nicht selten anzutreffende Unhöflichkeit eine Abgestumpftheit? Erwarten wir die Wahrheiten aussprechenden Politiker, die höflichen Kellner, Schaffner und Schalterbeamten erst gar nicht mehr? Es scheint so zu sein, dass wir eine fröhliche und wahre „Leichtfüßigkeit“ gar nicht mehr vermissen, wenn wir diese nie erleben durften. Wir werden kollektiv schwermütig, niedergeschlagen und emotional eingeengt, ein jeder in unterschiedlichem Grade. Kleinkinder, von diesen Lasten noch befreit, vermitteln uns eine Welt, der wir längst entflohen sind oder aus ihm vertrieben wurden.

Tapetenwechsel wäre nötig, was auf individueller Ebene mit etwas gutem Willen und Engagement möglich ist. Doch sind und bleiben wir umgeben von Zeitgenossen, die weiterhin im Nebel stecken bleiben wollen, die zusätzlich die Hand vor die Augen halten, um ja nicht zu sehen, woran es denn liegen könnte. Dann stecken wir fest im Weltschmerz wie mit Füßen im Beton. Und die Millionen Nadelstiche, die diesen Weltschmerz beständig am Köcheln halten, bekommen wir durch unsere Medien frei Haus geliefert.

Schmerzen hindern uns voranzuschreiten, Neues auszuprobieren und Schlechtes mit Worten zu benennen. Schmerzen erzeugen Angst. Kollektiver Schmerz, nicht näher definiert und nur im Herzen gespürt, lähmt den Einzelnen und in Folge auch die gesamte Gesellschaft. Darauf aufbauend ist es für Agitatoren ein Leichtes, die schlafende und betrübte Herde zu steuern. Ängstliche Menschen sind leicht verführbar, nicht nur heute, sondern wie wir wissen, auch in vorangegangenen düsteren Jahrzehnten.

Weltschmerzkinder unter uns

Einen eigenen oder fremden Kummer bekämpfen zu wollen machen sich viele auf, sei es auf Facebook oder Instagram gegen diese Drachen des Bösen zu kämpfen. Manche dieser Anti-Weltschmerz-Krieger, gleich welchen Alters oder Geschlechts, zeigen oft auch eine außergewöhnliche Kampfeslust und eine ansteckende (gespielte?) Fröhlichkeit. Man ist geneigt, diese Aktivisten unterstützen zu wollen, sie z.B. zu Konferenzen und zu Treffen mit Journalisten einzuladen, um deren Horizont zu erweitern. Auch ist es nicht verwunderlich, diesen Menschen, die sich ja für das Gute einsetzen, zugeneigt zu sein. Doch scheint es sich gelegentlich so zu verhalten, dass deren selbstkonstruiertes „Schlachtfeld“ bereits zum engen Korsett wurde, das keine Ideen von Außen mehr zulässt. Die Kommunikation wird schwierig, gutgemeinte Nachrichten auf Whatsapp werden erst gar nicht beantwortet. Die nötige Freiheit, sich Neuem zu öffnen, ist durch eine tiefe Weltschmerzerfahrung bereits gelähmt. Diesen Menschen begegnen wir immer und überall, auf Gartenfesten, im Restaurant und im Betrieb.

Deren Schmerz im Herzen ist Teil des großen Weltschmerzes, welcher lähmt.

Weltschmerz wird zum Machtinstrument.



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5 Kommentare

  1. JaJa der Weltschmerz ! Meine Erfahrung weicht hier etwas ab ! Immer wenn ich aus dem Ausland auf dem Frankfurtter Flughafen zurückkehre, kann ich den Schmerz ganz deutlich sehen : Die verbissenen, zwangsfreundlichen Gesichter der Beamten an der Passkontrolle ! Dann weiss ich. das ich wieder zuhause bin…….( in anderen Ländern kostet das Lächeln nämlich nix ).

  2. Der Autor versucht den Eindruck zu erwecken, JETZT ERST, bzw. die letzten beiden Jahre im Zuge des Corona-Theaters, sei etwas aus dem Lot geraten.

    Das ist so nicht zutreffend. Aus dem Lot ist Deutschland bereits seit den 90er Jahren. Es scheint, als sei mit der Wiedervereinigung ein Hebel umgelegt worden, zum Nachteil Deutschlands und der Deutschen.

    Seitdem werden das Land und seine Bürger Step bx Step buchstäblich AN DIE WAND gefahren. Und viele klatschen dabei sogar noch Beifall.

    Wenn man sich die elementaren Probleme ansieht, wie die historische Überschuldung, die gigantisch galoppierende Inflation, den überbordenden Tsunami von Invasions-Migranten, die explodierende Gewaltkriminalität im ganzen Land, die implodierenden Sozialhaushalte, selbstverschuldete Energiekrise, den Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit und Rentnerverarmung, etc….

    Dann MUSS einem Angst und Bange werden, vor der nahenden Katastrophe.

    1. Ich glaube, es begann bereits 1982 mit Helmut Kohl`s angestrebter ‘geistig moralischen Erneuerung’ !
      War halt ein Schuss in den Ofen…..

Kommentare sind geschlossen.