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Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr gilt oft auch andersherum. Was einem kleinen Hans von Kindheit an gepredigt, schleppt er meist unbewusst noch als Erwachsener mit sich herum. Wie wird er das Gelernte nur wieder los, wenn es ihn davon abhält, ein Hans im Glück zu werden?
Dafür gibt es in unserem Sozialstaat professionelle Hilfe, die sogar von der ein oder anderen Krankenkasse bezahlt wird. Dorthin gelangt der nicht mehr ganz so kleine Hans, als er wieder einmal vor den Trümmern einer gescheiterten Beziehung steht. Schnell wird dem Paartherapeuten klar, was dem Hans an seinem Glücke hindert. Sätze aus der Kindheit soll er notieren, erinnern und schnell wieder vergessen – umschreiben, sagt der Mann ohne weißen Kittel dazu, dekonstruieren! Oha! Nach der lustig beschwingten Einführung wird es ernst für den kleinen Hans, es beginnt die Arbeit, das Nocheinmal-Anschauen und das Loslassen – wie geht das nur?
Es war ein Satz von vielen, den Hans schon längst vergessen hatte: “Du bist genau wie dein Vater!” Die Geschichte dazu klingt trivial wie aus einem Groschenroman – und das ist sie auch: Hans war weitgehend ohne Vater aufgewachsen, die Ehe der Eltern recht kurz nach seiner Geburt zerbrochen. Bei all den vielen prägenden Momenten in seiner Rückschau war stets die Mutter präsent: Einschulung, Arztbesuche, Blinddarm-OP, Schulabschluss … Hänschens Mutter heiratete nicht wieder, ab und zu ging sie mal eine Beziehung ein und fiel immer wieder auf denselben Typ Mann herein. Und, oh Wunder, ihre Enttäuschung übertrug die bedauernswerte Frau auf ihren unschuldigen Sohn.
Oha – und was der Hans da so alles aus seiner Erinnerung hervorholte dank der überragenden Hilfe. “Männer sind Schweine” – wann immer Mama von ihren Depressionen geplagt wurde, holte sie sich mit dem Ärzte-Song aus der Lethargie, tanzte wie wild in der Küche, schruppte alle Böden und ließ Hänschen etliche Male die vielen Säcke des angehäuften Mülls in den Hof bringen. Das habe ihn geprägt, sagt der verständnisvolle Therapeut und gemeinsam finden sie noch mehr heraus. Einmal im Jahr wurde seine Mutter immer ganz besonders komisch – das war der Tag, an dem sie heraus gefunden hatte, das sein Vater sie betrügen würde. “Hoffentlich wirst du nicht auch so …. ”
Hätte der Hans nur glückliche und zufriedene Eltern gehabt, da wäre ihm das alles erspart geblieben. Nun aber muss er büßen für die Sünden seines Vaters. Warum hat ihn das Schicksal nur gleich doppelt bestraft?
Aber dann kommt Hänschens großer Tag. Sein Ablöseprozess, seine Befreiung beginnt. Sie machen Rollenspiele – “Aufstellungen”, wie der Therapeut erklärt, alleine und in der Gruppe, die Hans seit kurzem besucht. Endlich kann er alles für sich klären und sich neue Sätze einprägen, die ihn zu einem glücklicherem Leben und gelingenden Beziehungen bringen sollen. Das alles war sehr, sehr schmerzhaft, sehr sogar, ja wirklich. Es dauerte, bis Hans sich öffnen konnte und es aus ihm herauspurzelte, er schluchzte und weinte und die anderen ihn in den Arm nahmen und trösteten. Eine Teilnehmerin stand stellvertretend für seine Mutter. Erst durfte er sie anschreien, sie damit konfrontieren, warum sie ihm so ein negatives Männlichkeitsbild vermittelt hatte, bis er verstand, dass sie selber schwach gewesen war. Jetzt aber sei sie stark und bat ihn um Verzeihung und gab ihm folgende Worte mit auf dem Weg: Du bist nicht verantwortlich für die Sünden deines Vaters! Das war so befreiend! Wirklich! Hans fühlte sich großartig. Leider war außer ihm kein weiterer Mann in der Gruppe, doch es stellte sich eine weitere Teilnehmerin als Platzhalter für seinen Vater zur Verfügung. Der Therapeut führte Hans immer näher an ihn heran, sie machten sich seinen Zorn und seine Enttäuschung dem Vater gegenüber bewusst, der sich letztlich anfühlte wie ein Fremder für ihn. Die Begegnung endete mit der Vereinbarung “Wir wollen einander neu entdecken!” Hans fühlte sich noch großartiger. Ganz neue Welten würden sich ihm erschließen: Du darfst Mann sein! Merke dir diesen Satz, prägte ihm der Therapeut ein.
Fünf Jahre später kam Hans mit seiner neuen Frau erneut in die Gruppe. Sie wollten die Ehe retten, denn sie hatte ihn betrogen und der Hans fühlte sich gar nicht mehr so groß und glücklich …. was für ein Mann war nur aus ihm geworden? Hatte er nicht immer fleißig reflektiert, war stets in sich gegangen, hatte sich mit seinen Mustern und Prägungen aus der Kindheit befasst und wollte auf keinen Fall die Fehler seiner Eltern wiederholen. Hatte er gar etwas falsch verstanden, damals in den vielen Sitzungen, hätte man sich nicht noch mehr anschauen müssen, viel tiefer in die Vergangenheit hinein? Bis zu den Großeltern oder noch weiter zurück?
Der Therapeut vereinbarte zehn Sitzungen, gab einen Durchschlag für die Beantragung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse an sie beide ab, bevor Hänschens Frau abschließend fragte: “Ist das denn wirklich nötig, so viele Termine? ich wollte eigentlich nur einen Mann, der mich anschaut …”